Bankenaufsicht : Die unerfüllte Mission des obersten EZB-Aufsehers
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Steht vor seinem letzten Amtsjahr als Chef der EZB-Bankenaufsicht: der Italiener Andrea Enria Bild: EPA
Andrea Enria stellt im letzten Jahr seiner Amtszeit den Banken ein gutes Zeugnis aus. Doch zufrieden ist er damit keineswegs. Der Italiener mahnt zur Vorsicht.
Es ist das letzte Jahr in der Amtszeit von Andrea Enria als oberster Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank (EZB). Am Dienstag konnte er auf der Pressekonferenz der EZB-Bankenaufsicht auf eine Zahl verweisen, mit der er zufrieden sein kann. Die europäischen Banken haben im vergangenen Jahr das Volumen notleidender Kredite auf nun 349 Milliarden Euro abermals verringern können. Es sei dies das niedrigste Niveau seit dem Jahr 2015, als die EZB mit der Aufzeichnung dieser Zahl begonnen habe. Als Enria im Januar 2019 seine Tätigkeit bei der EZB aufnahm, waren es noch rund 600 Milliarden Euro.
Danach gefragt, was er im letzten Jahr seiner Amtszeit noch erreichen will, zeigte sich der Italiener aber skeptisch: „Das Ausmaß der Integration in der Europäischen Bankenunion ist enttäuschend.“ Er würde sich deutlich mehr Integration wünschen. Von Beginn an hat Enria die europäischen Banken zu grenzüberschreitenden Fusionen aufgefordert, um ihre Ertragskraft im Vergleich zu den deutlich profitableren amerikanischen Wettbewerbern zu verbessern.
Zersplitterte Märkte im Euroraum
Doch die Hürden sind geblieben. Noch immer sind die Bankenmärkte innerhalb der Eurozone stark zersplittert. Das liegt auch an den unterschiedlichen Formen der Einlagensicherung. Um die Kontoeinlagen der Sparer zu schützen, hat Enria regelmäßig eine gemeinsame europäische Einlagensicherung gefordert. Doch diese scheiterte vor allem am Widerstand Deutschlands, was gewiss auch an einer intensiven Lobbyarbeit der Sparkassen und Volksbanken in der jeweiligen Bundesregierung gelegen hat.
Doch Enria zeigte sich auf der Pressekonferenz keineswegs zerknirscht. Er stellte den europäischen Instituten vielmehr ein gutes Zeugnis aus: „Die Banken haben die wirtschaftlichen Auswirkungen der russischen Invasion in die Ukraine dank ihrer starken Eigenkapital- und Liquiditätspositionen, ihrer höheren Rentabilität und der kontinuierlichen Verbesserung der Aktivaqualität gut verkraftet.“ Trotz eines schwierigen Konjunktur- und Börsenumfelds sind die Geldhäuser nach Ansicht der EZB-Aufsicht stabil aufgestellt.
Gute Eigenkapitalausstattung
Das führt Enria in erster Linie auf die Zinswende zurück. Mit den höheren Zinsen stiegen auch die Zinserträge. Er betonte, dass diese 2022 erstmals seit langem wieder gestiegen seien, ohne dass dazu eine Ausweitung des Kreditgeschäfts nötig gewesen sei. Die Eigenkapitalausstattung der meisten Banken ist nach Angaben der EZB-Aufsicht besser als es die Anforderungen und Empfehlungen vorsehen. Nur ein Institut erfüllte die Vorgaben nicht. Im Jahr 2021 waren noch sechs Banken an diesen Hürden gescheitert.
Die Aufseher erhöhten ihre Eigenkapitalvorgaben für das laufende Jahr nur geringfügig. Die Gesamtkapitalanforderung und -empfehlung für das harte Kernkapital (CET 1) für 2023 steigt im Durchschnitt nur leicht auf 10,7 Prozent von 10,4 Prozent. Die Kennziffer gibt an, wie viel bei Verlusten sofort haftendes Eigenkapital die Banken für ihre Bilanzrisiken vorhalten müssen. Als hartes Eigenkapital gelten in der Regel Aktien und Gewinnrücklagen, die Bilanzrisiken schlummern in den Krediten und Wertpapierpositionen.
Geringe Börsenbewertung
Enria wurde seiner Rolle als oberster Aufseher gerecht, indem er die Banken trotz ihrer guten Verfassung zur Vorsicht mahnte. Dass fast alle europäischen Großbanken ein Kurs-Buch-Verhältnis von deutlich weniger als eins aufweisen, führt er auf die Skepsis der Anleger in Bezug auf Risiken und Profitabilität zurück. Ein Kurs-Buch-Verhältnis von weniger als eins bedeutet einen geringeren Börsenwert im Vergleich zum bilanziellen Wert des Eigenkapitals.
Wie hoch der Abschlag ausfallen kann, zeigt die Aktie der Deutschen Bank: Sie notierte am Dienstagnachmittag mit 11,65 Euro, während der Buchwert Ende 2022 bei 29,74 Euro lag. Das entspricht einem Kurs-Buch-Verhältnis von 0,4 oder einem Abschlag auf das Eigenkapital von gut 60 Prozent.
Schwächen auf Führungsebenen
Der Chef der Bankenaufsicht warnte vor Übermut. Solange der Krieg in der Ukraine dauere, stünden die Banken vor Herausforderungen. Zudem müssten die Auswirkungen steigender Zinsen sorgfältig beobachtet werden. Das gilt vor allem für Unternehmen und Haushalte mit hohen Schulden. Einmal mehr forderte Enria die Banken auf, ihre Schwachstellen zu beseitigen. Dazu zählte er die Risikokontrolle, wo die Datenerfassung mangelhaft sei.
Auch Leitungsgremien wie Vorstand und Aufsichtsrat genügen nicht den Anforderungen der Aufsicht. So gebe es oft nicht ausreichend IT-Kompetenz, zu wenig Unabhängigkeit oder ungenügende Diversität in der Besetzung.
Trotzdem zeigte sich Enria mit der Ausschüttungspolitik der Banken zufrieden. Die geplanten Dividenden, Aktienrückkäufe und Boni bezeichnete er als angemessen. Nach bisherigen Stand würden die Banken 51 Prozent ihrer Bruttogewinne ausschütten. Diese Pläne wertete der Chef der EZB-Bankenaufsicht insgesamt als tragfähig.
Nur in einer geringen Anzahl von Fällen hätten einige Institute ihre Pläne nach Rücksprache mit der Aufsicht reduzieren müssen. Viele Banken wollen ihre Ausschüttungen erhöhen und haben wie die BNP Paribas oder die Unicredit Aktienrückkäufe angekündigt, nachdem die Zinswende ihnen das ertragreichste Geschäftsjahr seit 2007 beschert hat.
Dass die EZB-Aufsicht abermals eine dringende Empfehlung zum Dividendenverzicht wie am Anfang der Corona-Pandemie aussprechen wird, hatte Enria schon vor Monaten ausgeschlossen. Dieses faktische Dividendenverbot war von den Banken heftig kritisiert worden und galt auch rechtlich als umstritten.