Zinszusammenhang der Banken : Warum die Renditen weiter steigen können
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Das amerikanische Finanzministerium in Washington Bild: AP
Der atlantische Zinszusammenhang wird unterschätzt: Erst folgen die europäischen Renditen den amerikanischen. Und dann folgt Europas Geldpolitik der Fed.
Axel Weber ist im Hauptberuf Banker, aber er ist auch ein sehr kundiger Ökonom, und er war ein krisenerprobter Geldpolitiker. Als ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank weiß er vor allem um den Einfluss der Vereinigten Staaten auf die internationalen Finanzmärkte. Und während sich viele Anlagestrategen und Bankökonomen noch mit der Frage befassen, ob die Europäische Zentralbank (EZB) an diesem Donnerstag neben einer sehr wahrscheinlichen Verlängerung ihres Anleihekaufprogramms einen Hinweis auf eine künftige Reduzierung der Käufe geben könnte, ist Weber schon viel weiter.
Die Teilnehmer an den Anleihemärkten unterschätzten die Möglichkeit eines deutlichen Anstiegs der europäischen Renditen, sagte Weber vor wenigen Tagen. Zwei Gründe nannte er als Ursache eines solchen Renditeanstiegs: steigende Anleiherenditen in den Vereinigten Staaten sowie eine schneller als erwartete Straffung der EZB-Geldpolitik. Das eine wie das andere hat in Europa kaum jemand auf dem Schirm – aber Webers Einschätzung beruht auf der Erfahrung.
Sehr lehrreich ist ein Blick auf das Jahr 1994. Damals stiegen in den Vereinigten Staaten die Renditen der Staatsanleihen unerwartet kräftig. Und was geschah mit den Renditen der deutschen Bundesanleihen? Sie wurden von den amerikanischen Renditen nach oben gezogen, obgleich in diesem Jahr die Deutsche Bundesbank ihren kurzfristigen Leitzins sogar mehrfach senkte. Diese Episode zeigt drastisch, dass Anleiherenditen nicht sklavisch an der Geldpolitik hängen, sondern sich mit zunehmender Laufzeit von der Geldpolitik emanzipieren.
Anstieg europäischer Anleiherenditen überraschte Marktteilnehmer
„Die kurzfristigen Zinssätze sind wesentlich durch die Geldmarktkonditionen bestimmt und unterliegen damit einem vergleichsweise starken, unmittelbaren Einfluss der Geldpolitik. Demgegenüber hängen die langfristigen Zinsen zumindest auf mittlere Sicht hauptsächlich von gesamtwirtschaftlichen Fundamentalgrößen ab, die nur mittelbar von der Geldpolitik beeinflussbar sind“, schrieb die Bundesbank mit Blick auf die damaligen Erfahrungen. Der starke Einfluss Amerikas auf die Renditen der Schwellenländer ist allgemein akzeptiert, aber er ist auch über den Atlantik spürbar.
In den vergangenen Monaten haben viele Marktteilnehmer überrascht auf den Anstieg europäischer Anleiherenditen reagiert, der im Sommer begann und sich nach der amerikanischen Präsidentenwahl beschleunigte. Wieder einmal zeigte der „atlantische Zinszusammenhang“, wie man ihn früher nannte, seine Kraft. Er ist nicht immer zuverlässig am Werk, aber unterbelichten darf man ihn nicht: Nach Schätzungen hat sich in den vergangenen drei Monaten das Volumen europäischer Staatsanleihen mit negativer Rendite von 4,3 auf 3,2 Billionen Euro reduziert.
Und mit der wachsenden Erkenntnis, dass der Einfluss der EZB trotz hoher monatlicher Anleihekäufe auf die langfristigen Renditen in der Eurozone unvollkommen ist, nahmen auch die Risikoprämien zu, ablesbar an der wachsenden Renditedifferenz zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen. Webers Analyse passt zu dieser Beobachtung. Sollten die amerikanischen Renditen im kommenden Jahr als Folge steigender Inflationsraten und einer expansiven Finanzpolitik weiter zulegen, wäre es nicht erstaunlich, wenn die europäischen Renditen mitzögen. Ebenso passt in dieses Bild, dass die EZB bisher keinen Versuch unternommen hat, den Renditeanstieg zu bremsen.
EZB könnte Ausstieg aus expansiver Geldpolitik bald einleiten
Stattdessen ist etwas ganz anderes plausibel. Die EZB könnte, wie von Weber vermutet, schneller den Ausstieg aus ihrer expansiven Geldpolitik einleiten als heute erwartet. Denn eine zweite Erkenntnis aus den vergangenen Jahrzehnten lautet: Die Geldpolitik in Europa folgt der amerikanischen, wenn auch manchmal mit einiger Verzögerung. Dass die EZB in absehbarer Zeit etwas den Fuß vom Gas nimmt, ist in den aktuellen Renditen nicht eingepreist, und gerade von deutschen Marktteilnehmern sind Stimmen zu hören, nach denen die EZB aus ihrer Politik gar nicht mehr herauskommen werde, weil dann alles zusammenbreche.
Nicht immer gelingt es, düstere Szenarien belastbar zu begründen. Ein Beispiel unter vielen: Auf dem Kapitalmarktausblick der Deutsche Asset Management stellte ihr Chef-Anlagestratege Stefan Kreuzkamp eine Rechnung vor, nach der ein Anstieg der Zinsen im Euroraum um einen halben Prozentpunkt zusätzliche jährliche Zinsausgaben von 48 Milliarden Euro in den Staatshaushalten erzeugt. Die Rechnung ist einfach. 48 Milliarden entsprechen einem halben Prozent des Bestands der Staatsschulden. „Wir können uns deutlich höhere Zinsen nicht leisten“, schloss Kreuzkamp.
Nicht gesagt wird jedoch, dass diese Rechnung zur Beschreibung der Wirklichkeit an den Kapitalmärkten in kurzer und mittlerer Frist kaum etwas beiträgt. Denn der ganz überwiegende Teil der von den europäischen Staaten begebenen Anleihen trägt einen festen Zinskupon. Das heißt, die Zinskosten der Anleihe ändern sich während der Laufzeit für den Schuldner nicht, auch wenn die aktuellen Renditen steigen. Betroffen von einem Renditeanstieg wären fast ausschließlich die Kupons neuer Anleihen, und die machen nur einen kleinen Teil der gesamten Staatsschuld aus.
Erklärung für die gemäßigte Reaktion auf Volksabstimmung in Italien
Bis ein Renditeanstieg die Zinskosten eines Staates merklich erhöhte, vergingen Jahre, und auch dann träte dieser Fall nur ein, wenn der Renditeanstieg dauerhaft wäre. Hinzu kommt, dass jetzt auslaufende mittel- und langfristige Anleihen noch in einer Phase höherer Renditen begeben wurden. So trägt eine im Februar 2017 fällige zehnjährige italienische Staatsanleihe einen Kupon von 4 Prozent. Erst im Jahre 2013 fiel die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen unter 4 Prozent; zwischenzeitlich gab es Kupons bis zu 4,75 Prozent. Selbst wenn die aktuellen Renditen noch ein Stück weit stiegen, bliebe der neue Kupon lange Zeit niedriger als der Kupon der Altanleihen, die ersetzt werden – eine Beobachtung, auf die der Chefökonom von Berenberg, Holger Schmieding, hingewiesen hat.
Dies mag eine Erklärung sein, warum der Anleihemarkt und der Markt für Kreditausfallderivate (CDS) auf Staatsanleihen für Italien auch nach der Volksabstimmung am vergangenen Sonntag nicht mit Panik reagiert haben. Eine weitere Erklärung mag in der Umkehr der italienischen Kapitalverkehrsbilanz in den vergangenen Jahren zu finden sein. Mittlerweile exportiert Italien Kapital, während es in der Krise der Jahre 2011 und 2012 auf Kapitalzuflüsse angewiesen war.
Die EZB hat vielleicht weniger Grund als gedacht, die Anleihemärkte zu umsorgen. Und wenn der „atlantische Zinszusammenhang“ seine volle Kraft entfaltet, besäße sie kaum die Mittel, einen Anstieg der Renditen dauerhaft zu verhindern. Wohin das führen könnte, zeigt die amerikanische Investmentbank Morgan Stanley – die wie Schmieding zudem das Thema Inflation in der Eurozone kommen sieht: zu einer Rendite zehnjähriger Bundesanleihen von einem Prozent im Herbst 2017. Mit Weber lässt sich sagen: Wer ein solches Szenario nicht einkalkuliert, riskiert schwere Kursverluste.