Strukturierte Anleihen : Derzeit kaum zu bewerten
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Schon seit Monaten reißen die Hiobsbotschaften nicht ab: Banken berichten über immer neue Wertberichtigungen und Verluste in Milliardenhöhe. Waren diese Einbußen nicht schon länger vorhersehbar? Und warum sind die inzwischen als toxisch bezeichneten Wertpapiere so schwer zu bewerten?
Fachleute nennen dafür vor allem zwei Gründe: Erstens handelt es sich bei diesen Papieren oft um hochkomplizierte Finanzinstrumente, zweitens hängt der Marktwert von vielerlei Faktoren ab, die sich derzeit dynamisch und schwer abschätzbar verändern. Die Folge: Schon kleine Änderungen in den Annahmen können zu drastischen Kursverlusten eines Papiers führen - oder im günstigen Fall zu einer großen Werterholung.
Gute und weniger gute Kuchenstücke
Um die Bedingungen eines tranchierten Wertpapiers zu beschreiben, sind meist Hunderte von Seiten, dicht gespickt mit vielerlei Details, nötig. Eine weitverbreitete Grundstruktur lässt sich in einem hypothetischen Beispiel so skizzieren: Eine Bank hat 5000 Subprime-Hypothekenkredite an Haushalte in mehreren amerikanischen Bundesstaaten vergeben; das gesamte Portefeuille hat ein Volumen von 500 Millionen Dollar. Dieses Portefeuille wird in 25 Tranchen unterschiedlicher Seniorität eingeteilt.
Der Clou der Konstruktion: Kreditausfälle im Portefeuille werden nicht anteilsmäßig auf die einzelnen Tranchen verteilt; vielmehr werden alle anfallenden Verluste zunächst allein der untersten Tranche im Volumen von 10 Millionen Dollar zugerechnet; für dieses hohe Verlustrisiko wird diese Tranche mit einem sehr hohen Zinskupon entschädigt.
Sollten die Verluste die unterste Tranche aufzehren, muss die nächsthöhere Tranche die weiteren Verluste absorbieren - und so fort. Höhere Tranchen sind dadurch gegen Verluste abgeschirmt - jedenfalls zunächst. Die Ratingagenturen haben diesen höheren Tranchen, die meist 60 bis 80 Prozent des Gesamtportefeuilles ausmachten, deshalb ursprünglich oft die Bestnoten „AAA“ für höchste Ausfallsicherheit zuerkannt.
Fatale AAAs
Da die Investoren stark an AAA-Papieren interessiert waren, haben die Investmentbanken den Raffinierungsprozess weitergetrieben: Dutzende „BBB“Tranchen unterschiedlicher Gesamtportefeuilles wurden dann wieder zusammengefasst; zur Risikodiversifizierung wurden oft noch „BBB“-Tranchen, denen Kreditkartenkredite oder Autodarlehen unterliegen, beigemischt. Auch dieses neue Portefeuille wurde tranchiert - wodurch wiederum „hochwertige“ „AAA“- und „AA“Tranchen entstanden.
Inzwischen ist klar, dass es sich bei diesen Bonitätsnoten um katastrophale Fehleinschätzungen handelte. Denn aufgrund der Immobilienkrise fallen viel mehr Kredite aus als ursprünglich geschätzt. Zudem sind die Immobilienpreise drastisch gefallen, in manchen „Subprime“-Regionen bereits um 40 bis 50 Prozent gegenüber dem Höchststand.
Das wiederum verringert den Erlös, wenn ein Eigenheim zwangsversteigert wird. Angesichts der sich immer noch verschärfenden Wirtschaftskrise ist derzeit noch kein Ende der Kreditausfälle und der Talfahrt der Immobilienpreise absehbar - zumal sich beide Entwicklungen gegenseitig verstärken. Dementsprechend fällt es schwer, die Verluste der einzelnen Tranchen abzuschätzen.
Untere Tranchen tragen die Lasten
Wie Markus Ernst, ein Kreditderivatespezialist von Unicredit, erläutert, haben viele dieser Papiere zudem sogenannte „Trigger“: Fällt zum Beispiel der Marktwert einer bestimmten unteren Tranche unter eine Schwelle, erhalten die Halter der „AAA“-Tranchen das Recht, alle eingehenden Zahlungsströme zur bevorzugten Tilgung der eigenen Tranche zu nutzen - oder gar das gesamte unterliegende Kreditportefeuille notzuverkaufen.
Die dabei entstehenden Verluste müssen dann von den unteren Tranchen absorbiert werden, wodurch sich die oberen Tranchen gegen weitere Wertverluste absichern. Hier kommt es auf das Kleingedruckte in den Anleihebedingungen an - und zum Beispiel auch darauf, ob die Halter der „AAA“-Tranchen für die Zukunft weitere Verluste erwarten oder aber eine Werterholung.
Kleine Änderungen mit drastischen Konsequenzen
Die Ratingagentur Standard & Poor's hat im November in einer Studie durchgespielt, wie sich der abgezinste Barwert mehrerer Tranchen eines hypothetischen Wertpapiers unter unterschiedlichen Annahmen entwickelt. In Szenario 1 ist unterstellt, dass in den nächsten zwölf Monaten 5 Prozent des Kreditvolumens ausfallen und der Verlust im Durchschnitt 20 Prozent beträgt; das heißt: nach allen Kosten erhält der Gläubiger 80 Prozent des Kreditbetrags zurück.
Die Studie zeigt auf, wie vergleichsweise kleine Änderungen der Annahmen zu enormen Wertverlusten führen. So hat zum Beispiel die „AA+“Tranche unter Szenario 4 noch einen rechnerischen Barwert von 75,76 Prozent, im Szenario 5 aber nur noch von 8,85 Prozent. Ähnlich fällt auch der Wert anderer Tranchen plötzlich wie ein Stein.
Das wiederum ist der Grund, weshalb Investoren diese Wertpapiere derzeit scheuen, so dass die Märkte völlig illiquide sind und keine Marktpreise zustande kommen. Das spiegelt sich im Verfall der ABX-Indizes, welche aus den Kursen von Subprime-Tranchen unterschiedlicher Bonität berechnet werden. An der Bewertungsfrage sind bislang auch alle Konzepte gescheitert, denen zufolge der Staat den Banken ihre toxischen Papiere abkaufen soll, um die Kreditinstitute zu entlasten.