F.A.Z. exklusiv : Der Schwarm finanziert immer mehr Unternehmen
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Geld auf Tastendruck: 35 Millionen Euro sind so in den ersten neun Monaten des Jahres in Deutschland zusammengekommen. Bild: Picture-Alliance
Alternative Kreditplattformen im Internet wachsen kräftig. Die Beratungsgesellschaft KPMG warnt, dass damit auch die Risiken zunehmen.
Um Investitionen auf Kredit zu finanzieren, nutzen auch zunehmend Unternehmen alternative Plattformen im Internet. Während Schwarmfinanzierungen in den vergangenen Jahren eher etwas für Privatkonsumenten waren, haben in den ersten neun Monaten dieses Jahres auch Unternehmen in Kontinentaleuropa schon rund 131 Millionen Euro auf diese Weise im Internet aufgenommen, wie eine Studie der Beratungsgesellschaft KPMG zeigt, die der F.A.Z. exklusiv vorliegt. Allein in Deutschland waren es 35 Millionen Euro.
Verglichen mit herkömmlichen Finanzierungsformen spielt diese Variante zwar nach wie vor eine geringe Rolle. Doch der Markt für Schwarmfinanzierungen wächst in großen Schritten. In ganz Europa haben Unternehmen nun schon in den ersten neun Monaten 2 Millionen Euro mehr als im gesamten Vorjahr eingesammelt und mehr als doppelt so viel wie im gesamten Jahr 2014.
623 Millionen Euro haben Investoren in den ersten neun Monaten dieses Jahres insgesamt in Kontinentaleuropa über das sogenannte Peer-to-Peer-Lending, also das Verleihen von Geld von Nutzer zu Nutzer, als Fremdkapital vergeben. Das sind 23 Prozent mehr als im Vorjahr. Deutschland stellt mit einem Volumen von 162 Millionen Euro den zweitgrößten Einzelmarkt auf dem Kontinent, Frankreich ist mit 189 Millionen Euro die Nummer eins. Klarer Marktführer in Deutschland ist die Plattform Auxmoney mit einem Finanzierungsvolumen von 130 Millionen Euro in den ersten neun Monaten.
Hohe Rendite, hohes Ausfallrisiko
Bei der Schwarmfinanzierung treffen sich potentielle Kreditnehmer und -geber auf Onlineplattformen. Wer Geld für ein Projekt braucht, stellt sein Vorhaben und sich selbst kurz vor; die Plattformbetreiber errechnen dann in der Regel, welchen Zinssatz er seinen Geldgebern in Aussicht stellen sollte. Mehrere Investoren können dann größere oder kleinere Summen zur Finanzierung des Projektes dazugeben - der nötige Betrag kommt dann über den Schwarm aus vielen Kleininvestoren zusammen.
Für die Geldgeber springt dabei oft eine vergleichsweise hohe Rendite heraus - sie tragen aber auch das entsprechend hohe Ausfallrisiko. Für die Kreditnehmer ist der Zins, den sie zahlen müssen, oft niedriger als der für einen herkömmlichen Bankkredit. Sie bekommen oft gar keinen Kredit von der Bank, weil die Risiken nicht in die standardisierten Modelle passen.
Noch größer ist der Markt für alternative Finanzierungen, wenn man auch das Crowdfunding mit einbezieht, bei dem es in der Regel nicht nur ums Geldverleihen geht, sondern sich die Investoren oft auch direkt an den jungen Unternehmen beteiligen, also Eigenkapital geben. Inklusive des Crowdfundings kam der europäische Markt auch im Jahr 2015 schon auf ein Volumen von etwas mehr als 1 Milliarde Euro, wie die Zahlen von KPMG zeigen; für das laufende Jahr sind noch keine Zahlen genannt. Ganz anders sind die Dimensionen der alternativen Finanzierungen allerdings in Großbritannien. Dort allein wird über Schwarmfinanzierungen inzwischen vier Mal so viel Geld verliehen wie im gesamten Rest Europas.
Neuerdings übernimmt der Schwarm auch Rechnungen
Ein relativ neues Marktfeld, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut, ist die Finanzierung ausstehender Rechnungen über den Schwarm. Wer nicht darauf warten will, dass alle Geschäftspartner ihre Rechnungen begleichen, kann sich das ausstehende Geld vorher über entsprechende Plattformen und gegen die Zahlung eines Zinses von Investoren holen. 41 Millionen Euro wurden in den ersten neun Monaten auf diese Weise finanziert. Mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr, als KPMG diese Form der Finanzierungen erstmals erfasste.
Aus Sicht der Studienautoren hat die Schwarmfinanzierung inzwischen die Start-up-Stufe verlassen und wird zunehmend als ernstzunehmende Alternative wahrgenommen. Mit der wachsenden Bedeutung sehen die KPMG-Berater aber auch die Risiken zunehmen. Sie warnen beispielsweise vor Betrügereien und anderen Vergehen sowohl der Plattformbetreiber als auch der Kreditnehmer. Auch könnten sich die Fälle häufen, in denen Kredite ausfielen oder die finanzierten Unternehmen insolvent würden. Zudem könnten durch die wachsende Zahl professioneller Investoren die kleineren Financiers aus den alternativen Plattformen herausgedrängt werden. Der Beleg, wie sich das Finanzierungsinstrument in wirtschaftlich schlechteren Zeiten schlägt, stehe noch aus.
Im Schnitt ist der kontinentaleuropäische Markt in den vergangenen Jahren alle drei Monate um 14 Prozent gewachsen. Einer der aktivsten Einzelmärkte für Schwarmfinanzierungen in Europa ist das kleine Lettland. Die zwei großen Plattformen Twino und Mintos teilen sich den Markt fast zu gleichen Teilen auf und haben dort innerhalb der ersten neun Monate dieses Jahres fast aus dem Stand 57 beziehungsweise 50 Millionen Euro für Finanzierungen vermittelt.