Folgen des Niedrigzinses : Die große Umverteilung
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Arm und reich: Vor den Zinsen sind nicht alle Sparer gleich. Besonders, wer wie in dieser Illustration ein Sparbuch hat, bekommt oft weniger für seine Geld Bild: dpa
Die Zinsen sind niedrig wie nie. Das trifft arme und reiche Sparer. Aber wer leidet am meisten? Eines ist sicher: Für die Entwicklung der Ungleichheit in Deutschland ist ein anderer Faktor ausschlaggebend.
Seit mehr als sechs Jahren ärgern sich die Deutschen nun schon darüber, dass die Zinsen so extrem niedrig sind: Es gibt fast nichts mehr aufs Ersparte. Mickrige 0,41 Prozent zahlen die Banken im Augenblick im Durchschnitt auf dem Tagesgeldkonto. Und für Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit (deren Renditen zuletzt ein wenig gestiegen sind, so dass manch einer schon Hoffnung schöpfte) bekommt man mit 0,89 Prozent auch alles andere als viel. Die Zinsen sind praktisch abgeschafft – sie gehören schon fast zu den Dingen, über die alte Leute von früher erzählen. Jahr für Jahr entgehen den Sparern in Deutschland deshalb im Vergleich zum Zinsniveau von 2007 rund 60 bis 70 Milliarden Euro, wie das Ifo-Institut in München einmal ausgerechnet hat.
Zwar streiten sich die Ökonomen, wer wie viel Verantwortung für diese Entwicklung trägt. Die Europäische Zentralbank unter Präsident Mario Draghi hat die niedrigen Leitzinsen hierzulande formal festgesetzt. Zumindest die kurzfristigen Zinsen im Euroraum wie etwa das Tagesgeld hat sie damit fest im Griff. Aber das Phänomen der Niedrigzinsen insgesamt scheint größer zu sein und in vielen Teilen der Welt aufzutreten. Dabei mögen Spätfolgen der Finanzkrise eine Rolle spielen oder auch ein Ungleichgewicht zwischen hohen Ersparnissen aus alternden Industriegesellschaften bei zu wenigen lukrativen Anlagemöglichkeiten, wie eine Reihe von Wissenschaftlern glaubt.
Eines jedoch ist sicher: Die Ära der Niedrigzinsen ist eine Phase der Umverteilung. Die Nullzinspolitik begünstigt alle Menschen, die Schulden haben, weil sie weniger Zinsen zahlen müssen. Und sie trifft Menschen, die Geld gespart haben und dafür weniger Zinsen bekommen als in halbwegs normalen Zeiten.
Weniger klar ist: Trifft das vor allem die Reichen, weil sie schlicht mehr Geld auf der Bank haben? Oder vor allem die Armen, weil diese weniger Möglichkeiten haben, durch eine geschickte Anlagestrategie den Folgen der Niedrigzinspolitik zu entkommen?
Gleich eine ganze Reihe von Studien hat sich in jüngster Zeit intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Sie kommen zum Teil zu recht verschiedenen Ergebnissen. Das mag mit unterschiedlichen politischen Intentionen der Verfasser zusammenhängen – oder auch mit dem jeweils verwendeten Datenmaterial. Immerhin aber lassen sich bestimmte Grundmuster in allen Studien erkennen.
Zunächst einmal ist klar: Wer gar kein Geld auf seinem Sparkonto hat, den können niedrige Zinsen kaum treffen. Die untersten 20 Prozent in der Vermögenspyramide in Deutschland haben so wenig auf der hohen Kante, dass ihnen die Niedrigzinsphase zumindest unmittelbar nicht viel anhaben kann.
Reichere wählen klügere Anlagestrategien
Dann scheint es eine mittlere Gruppe in der Vermögensverteilung zu geben, die zwar ein bisschen Erspartes hat, aber nicht wirklich viel. Diese Gruppe scheint besonders von den Niedrigzinsen getroffen zu werden. Die Menschen, die zu dieser Mittelschicht gehören, haben Geld auf dem Konto, aber beispielsweise nicht viele Aktien. Das Geld, das sie haben, wollen sie halbwegs flüssig halten, weil sie es für unvorhergesehene Ereignisse brauchen. Es scheint ihnen zu wenig, als dass sie es in riskantere Anlageformen stecken - in denen es im schlimmsten Fall weg sein kann, in einem weniger schlimmen Fall aber auch gerade dann nicht verfügbar, wenn man es braucht. Das Vermögen dieser Leute stagniert auf Giro- und Tagesgeldkonten – und wenn die Inflation etwas steigt, verlieren sie sogar unter dem Strich.