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Altersvorsorge : Alle Rentenansprüche auf einen Blick

Braucht keine App mehr, um seine Rentenansprüche zu überschauen: Rentner bei der Gartenarbeit. Bild: mauritius images

Fast alle Marktteilnehmer sehen die Vorzüge einer App, die sämtliche erwartbaren Leistungen der Altersvorsorge einbezieht. Warum kommt sie dann nicht?

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          Je mehr Sachverständige man befragt, ob eine transparente säulenübergreifende Darstellung aller Rentenansprüche möglich ist, desto weniger wahrscheinlich erscheint einem ein solches Projekt. Dabei ist der Grundgedanke so einfach wie verlockend: Könnte der künftige Rentner auf einen Blick erfassen, was ihm aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Rente zusteht, wüsste er, was er tun muss. Ist noch eine Vorsorgelücke zu schließen? Kann ein Vertrag ruhen? Wäre noch Geld für eine private Anschaffung übrig?

          Philipp Krohn
          Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Menschen und Wirtschaft“.

          Doch das Vorhaben, das vor allem für die Unionsparteien in der abgelaufenen Wahlperiode einen hohen Stellenwert hatte, wirkt geradezu wie ein Jahrhundertprojekt. Seitdem die gesetzliche Rentenversicherung Anfang des Jahrtausends ihre regelmäßigen Informationen verbessert hat, ist das Thema in der Diskussion. Das Bundessozialministerium hat eine Ausschreibung vorgenommen, wie eine solche säulenübergreifende Darstellung aussehen könnte, die es in anderen europäischen Ländern längst gibt.

          „Selbst finanzaffine Menschen sagen, sie wissen nicht, was ihnen zusteht“, sagt Anja Karliczek, in der Unions-Bundestagsfraktion für die Altersvorsorge zuständig. Eine verlässliche Information darüber, welche Ansprüche der Bürger hat, zähle zu den wichtigsten Aufgaben der Rentenpolitik insgesamt. „Leider stand die Transparenz in der letzten Legislaturperiode nicht mehr im Fokus, das fand ich ernüchternd“, sagt sie. Gelinge es, eine Jamaika-Koalition zu bilden, würden die künftigen Partner dieses Thema vielleicht etwas mutiger angehen.

          Widerstreitende Interessen

          Doch ist Transparenz in der Altersvorsorge wirklich so schwierig? Der digitale Versicherungsmakler Clark bringt an diesem Montag ein neues Instrument für seine App auf den Markt, in dem Kunden all ihre Daten selbst einpflegen können. Unter bestimmten Annahmen, die das Insurtech-Unternehmen offenlegt, ergibt sich daraus eine Übersicht in Euro über die realistische Höhe der Ansprüche aus den drei Säulen. „Wir fanden, dass noch keiner auf dem Markt den Heiligen Gral gefunden hat“, sagt Gründer und Geschäftsführer Christopher Oster.

          Eine digitale Anwendung, die breitflächig von Kunden genutzt werde, fehle bislang noch. Deshalb hat Clark mit Hilfe von Wissenschaftlern und in Kooperation mit Banken, die das Projekt dann aber schließlich aufgegeben haben, einen eigenen Ansatz ausgearbeitet. „Anders als in der Sach- oder der Krankenversicherung weiß ein Kunde überhaupt nicht, was er hat, wenn er einen Vertrag betrachtet“, sagt Oster. Dass Kunden ihre Daten händisch einpflegen müssen, sei zwar bedauerlich angesichts des Komforts eines einfachen digitalen Versicherungsordners. „Es wäre auch super, wenn wir eine gemeinsame Schnittstelle für alle Parteien hinbekommen. Ich glaube aber nicht, dass ein vollautomatisierter Datenaustausch kommt“, sagt er.

          Tatsächlich widerstreiten die Interessen der Akteure. Der Versichererverband GDV hielt jahrelang eine einheitliche Übersicht für unnötig, unterstützt inzwischen aber die Initiative – und hat auf seiner Internetseite auch schon eigene Berechnungsinstrumente zur Verfügung gestellt, um Kunden mehr Klarheit zu verschaffen. Widerstand gibt es aus der zweiten Säule, der betrieblichen Alterversorgung. Kritiker meinen, weil sich Pensionskassen und andere Einrichtungen sowieso gegen die Digitalisierung sperrten und ihre Informationen noch auf Excel-Tabellen verwalteten. „Ein konsolidierter Wert aller Ansprüche wäre schön, ist aber illusorisch“, sagt Klaus Stiefermann, einer der wichtigsten Lobbyisten der zweiten Säule in Deutschland.

          Als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung hat er schon an vielen Diskussionen über das Thema teilgenommen. Intensiv wird sie beispielsweise in der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung geführt. Die Werte der Anwartschaften seien zu schwer zu vergleichen, ist er überzeugt. Beitragsorientierte Zusagen gegen Leistungszusagen, garantierte Auszahlungen gegen fondsgebundene Anlagen und seit dem neuen Betriebsrentenstärkungsgesetz auch noch die völlig unverbindliche Zielrente: All das lasse sich nicht in einer Zahl zusammenfassen. Seine Mitglieder seien in Sorge, dass sie in Haftung genommen werden könnten, wenn sie eine scheinbar verbindliche Information ausgegeben hätten. Initiativen für eine gemeinsame Informationsplattform etwa bei der Deutschen Renteninformation seien löblich, man dürfe sich aber auch nicht zu viel davon versprechen. „Die Information ist ein wichtiges Instrument, aber sie wird nicht allein dazu führen, dass wir am Ende eine bessere Versorgung haben“, sagt Stiefermann.

          „Wir brauchen ein einfaches Verfahren“

          Klaus Morgenstern, Sprecher der bankeneigenen Denkfabrik Deutsches Institut für Altersvorsorge, widerspricht vehement. Der Vorstoß von Clark sei ein positives Signal für die Diskussion über das Projekt. Doch das manuelle Einpflegen von Daten sei noch nicht der Standard, den er sich wünscht. „Wir brauchen ein einfaches Verfahren, in dem man sich mit einer einfachen Routine anmelden kann“, sagt er. Wenn die Anbieter nur auf freiwilliger Basis Daten liefern müssten, wie es viele Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung bevorzugen, werde das nicht zum gewünschten Erfolg führen. In der Versicherungswirtschaft habe jüngst der Versuch des Maklerdienstleisters Morgen & Morgen, eine einheitliche Klassifizierung von Risikoklassen einzuführen, gezeigt, dass sich die Branche schnell zerstreite. Mit dem Aufbau der Produktinformationsstelle Altersvorsorge und gesetzlichen Vorgaben hätten sich dagegen schnell Standards etabliert.

          In der Politik besteht ein eindeutiger Gestaltungswille. „Die Digitalisierung wird überall Einzug nehmen“, sagt die CDU-Abgeordnete Karliczek. „Dann sollen es die Anbieter auch so machen, wie wir uns das vorstellen.“ Man werde sich mit allen Vertretern der Altersvorsorge zusammensetzen und das dann auch hinbekommen – mit neuen Koalitionspartnern und klaren Ansagen an die Branche.

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