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Steigende Kurse : Wie trügerisch ist der Börsenaufschwung?

Viele Firmen entscheiden sich für Rückkäufe

Also doch überall Tristesse? Keineswegs. Denn Unsicherheit ist in Unternehmen ja nicht irgendein Gefühl, dem die Macher in den Firmenzentralen einfach mal so freien Lauf lassen würden. Nein, stattdessen versuchen sie, der unklaren Lage durch eine knallharte finanzmathematische Kalkulation Herr zu werden. Auf der einen Seite: die Rendite, mit der zu rechnen wäre, wenn das Gefühl der Unsicherheit einfach ignoriert würde – sprich: der Gewinn, den die mit so viel Sorge behafteten Investitionen realistischerweise in der Zukunft abwerfen könnten.

Auf der anderen Seite: die Rendite, die sich erzielen lässt, wenn die Firma mit ihrem Geld ihren Aktionären etwas Gutes tut – zum Beispiel, indem sie eigene Aktien zurückkauft und damit den Kurs in die Höhe treibt. Häufig nimmt sie dafür sogar zusätzliche Schulden auf, was keineswegs unklug ist: Schließlich ist es zurzeit so günstig wie nie, sich Geld zu leihen.

Es mag merkwürdig klingen, in diesem Fall von Rendite zu reden. Aber Unternehmen, die ihre Aktionäre umsorgen, werben dadurch um zusätzliches Vertrauen, das früher oder später in einen steigenden Aktienkurs münden soll. Dieses Kursplus bringt auch den Unternehmen eine Art Rendite. Sie können nämlich so den Märkten signalisieren: Seht her, unsere Aktionäre glauben an uns! Derzeit fällt die Wahl vieler Firmen recht eindeutig aus. Zwar haben sie das Investieren nicht völlig eingestellt, aber in diesen Tagen entscheiden sie sich vor allem für Rückkäufe.

Für die stolze Summe von vier Milliarden Euro will beispielsweise Siemens bis Ende 2015 eigene Aktien kaufen, beim Rückversicherer Munich Re sollen es bis Mitte 2014 Aktien im Wert von einer Milliarde Euro sein – seit der Finanzkrise haben deutsche Unternehmen die Rückkäufe nicht mehr in derart großem Stil betrieben. In Amerika jedoch sind noch einmal ganz andere Summen im Spiel: Der Technologiekonzern Apple gibt 60 Milliarden Dollar für eigene Aktien aus, der Software-Hersteller Microsoft kommt auf ähnliche Beträge. Seit 2009 haben amerikanische Unternehmen mehr als 1000 Milliarden Dollar für eigene Aktien ausgegeben. Der Effekt solcher Rückkäufe: Wegen der zusätzlichen Nachfrage steigt nicht nur der Börsenkurs. Auch der Gewinn je Aktie erhöht sich, da nun in der Regel weniger Papiere handelbar sind – eine Kennziffer, die für viele Investoren bei ihren Anlageentscheidungen wichtig ist.

Der Einstieg in Aktien wird teurer

Trotz allem bleibt die Frage: Sollten die Unternehmensbosse nicht doch lieber ihren Grips anstrengen und die Milliarden auf den Firmenkonten anderweitig verwenden? Schließlich hat ein Unternehmen zunächst scheinbar gar nichts davon, wenn der eigene Aktienkurs in die Höhe schnellt. Geld fließt einer Firma ja im Gegenteil nur dann zu, wenn sie neue, zusätzliche Aktien ausgibt. Und trotzdem ist ein steigender Kurs nicht nur fürs Image gut. Denn im Aktienkurs spiegelt sich auch wider, wie die Marktteilnehmer die Zukunftschancen einer Firma einschätzen. Fällen sie ein positives Urteil und ist der Kurs vergleichsweise hoch, hilft das einem Unternehmen bei finanziellen Transaktionen aller Art – beispielsweise dann, wenn es sich bei Banken um Kredite bemüht.

Und noch aus einem anderen Grund sind Aktienrückkäufe und der damit einhergehende Kursanstieg eine gute Sache: „Sie mehren die relative Stärke einer Firma im Vergleich zur Konkurrenz“, sagt Helaba-Chefvolkswirtin Traud. Ein höherer Aktienkurs kann nämlich sowohl zur Verteidigung als auch zum Angriff auf einem ganz besonderen Schlachtfeld dienen – der Auseinandersetzung bei Übernahmen. Der hohe Kurs macht es auf der einen Seite ganz schön teuer, eine Firma zu übernehmen; er dient ihr quasi als Schutzschild. Andererseits verschafft sich ein Unternehmen so aber auch selbst die Möglichkeit, Konkurrenten durch Aktientausch zu kaufen – das wäre die Abteilung Attacke.

Darum sagt Christoph Kaserer, Professor für Finanzmanagement an der TU München: „Aktienrückkäufe sind oft Ausdruck einer sehr klugen Strategie.“ Zwar ist weder in Europa noch in den Vereinigten Staaten bislang das große Übernahmefieber ausgebrochen. Aber die vermehrten Rückkäufe könnten ein Indiz dafür sein, dass sich die Firmen genau dafür rüsten.

Natürlich hat all dies für Privatanleger auch einen eher unerfreulichen Nebeneffekt: Es macht den Einstieg in Aktien teurer. Vor einem Crash allerdings muss sich deswegen niemand fürchten. Zwar mag es an den Börsen in diesem Jahr Rückschläge geben, mit dem Einstieg sollten Anleger also noch warten. Doch wenn sie dann kaufen, kann es kein Fehler sein, auf robuste Firmen zu setzen: also genau auf Aktien der Unternehmen, die durch Rückkäufe gewonnen haben, wonach jeder Anleger sucht – frische Kraft.

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