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Großbritannien : Die Rohstoff-Baisse lastet schwer auf dem Londoner Aktienmarkt

Geschäftsviertel: City of London Bild: AFP

Die Turbulenzen an den Börsen haben den Finanzplatz London nicht verschont. Für den Verlust von fast elf Prozent des britischen Leitindexes binnen eines Jahres gibt es jedoch einen anderen Grund.

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          Es sind magere Zeiten am Londoner Aktienmarkt: Zwar hat die Angst vor einer Krise der Schwellenländer in den vergangenen Wochen rund um den Globus zu Kursverlusten geführt. Doch während beispielsweise ein Anleger, der vor einem Jahr in deutsche Aktien investierte, trotz der jüngsten Einbußen noch immer Geld verdient hat, sieht die Rechnung für Investoren in London sehr viel unschöner aus: Der britische Leitindex FTSE 100 („Footsie“) ist binnen zwölf Monaten um annähernd elf Prozent gefallen. Aus Sicht von deutschen Anlegern mindern zwar Wechselkursgewinne die Einbußen, denn das Pfund hat gegenüber dem Euro aufgewertet. Doch auch unter dem Strich bleiben britische Aktien ein Verlustgeschäft.

          Marcus Theurer
          Redakteur in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Hauptgrund für die trübe Bilanz ist die Rohstofflastigkeit des „Footsie“: Aktien von Öl- und Bergbaukonzernen sind vor den Finanzdienstleistern die wichtigste Branche des Londoner Börsenbarometers. Doch sowohl bei den Ölaktien wie auch bei den Bergbaukonzernen sind seit Sommer 2014 die Kurse nach unten gerauscht: Das Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung auf dem britischen Kurszettel ist Shell, dessen A-Aktien binnen 12 Monaten gut ein Drittel an Wert verloren haben.

          Die Notierung des kleineren Ölrivalen BP fiel um 22 Prozent. Beide Aktien spiegeln damit den drastischen Verfall der Ölpreise wider, die sich seit Sommer 2014 in etwa halbiert haben. Die Ölkonzerne reagieren mit milliardenschweren Sparprogrammen auf den Schwächeanfall am Ölmarkt. Doch so schnell und stark wie die Einnahmen fallen, können sie nicht kürzen – zumal sie weiterhin in ihren langfristigen Fördernachschub investieren müssen.

          Besserung so schnell nicht in Sicht

          Die Analysten der Großbank Citigroup schätzen, dass die Gewinne je Aktie der in London notierten Öl- und Gasunternehmen dieses Jahr im Schnitt um rund 41 Prozent niedriger ausfallen werden als 2014. Besserung ist so schnell nicht in Sicht, denn viele Fachleute rechnen damit, dass die Ölpreise auf Jahre hinaus niedrig bleiben werden.

          Shell hat im Frühjahr die Übernahme des Konkurrenten BG Group für umgerechnet 64 Milliarden Euro vereinbart. Doch mittlerweile spekulieren Hedgefonds bereits darauf, dass das Geschäft wegen der Ölpreisbaisse platzen könnte. BP wiederum könnte durch das Billigöl sogar zum Übernahmekandidaten werden. Im BP-Aktienkurs ist von Übernahmephantasie derzeit freilich wenig zu sehen. Zu kämpfen haben auch kleinere Unternehmen aus der Branche wie Petrofac, Tullow Oil und die Wood Group.

          Nicht viel besser sieht es für die großen Bergbaukonzerne auf dem Londoner Kurszettel aus: Der Aktienkurs des Weltmarktführers BHP Billiton ist binnen Jahresfrist um 40 Prozent abgeschmiert. Die Papiere von Rio Tinto haben im selben Zeitraum mehr als ein Viertel ihres Werts eingebüßt. Der Börsenwert von Anglo American hat sich sogar mehr als halbiert. Auch die Bergbaukonzerne reagieren mit Sparprogrammen und dem Abbau Tausender von Arbeitsplätze auf den Preisverfall an den Rohstoffmärkten.

          Britanniens Wirtschaft wächst kräftig

          Chancen gibt es dagegen bei den Finanzwerten. Vor allem die Großbank Barclays steht bei Investoren wieder höher im Kurs, seit das Geldhaus im Juli seinen Vorstandsvorsitzenden Antony Jenkins gefeuert hat. Der Aktienkurs von Barclays notiert mittlerweile um rund 13 Prozent höher als vor einem Jahr. Der große Hoffnungsträger der Aktionäre ist der neue Verwaltungsratschef John McFarlane. Der Schotte gilt als harter Sanierer – und wie die Kursentwicklung der Aktie zeigt, geben ihm die Investoren reichlich Vorschusslorbeer. Gerüchte, dass Barclays mehr als 30.000 von bislang 130.000 Arbeitsplätze abbauen wolle, wurden vom Management bisher nicht bestätigt.

          Bild: F.A.Z.

          Die Analysten von Morgan Stanley weisen darauf hin, dass europäische Banken insgesamt diesen Sommer die besten Sechsmonatszahlen seit fünf Jahren veröffentlicht hätten. Dank der höheren Profitabilität und dickerer Eigenkapitalpolster zeichne sich nach schwierigen Jahren eine Erholung in der gebeutelten Branche ab. Wegen der erwarteten tiefgreifenden Restrukturierung könnte die Barclays-Aktie nach Einschätzung von Morgan Stanley einer der Hauptprofiteure dieses Aufschwungs sein.

          Auch beim Wechselkurs können deutsche Anleger in London weiterhin auf Rückenwind hoffen. Im Gegensatz zu Kontinentaleuropa wächst Britanniens Wirtschaft kräftig. Während im Euroraum ein Ende des billigen Geldes nicht in Sicht ist, fasst die britische Notenbank die erste Leitzinserhöhung seit dem Frühjahr 2007 ins Auge. Viele Analysten rechnen damit Anfang nächsten Jahres – und die sich abzeichnende Zinswende dürfte den Wechselkurs des Pfunds gegenüber dem Euro stützen. Erst am Wochenende hat der britische Notenbankgouverneur Mark Carney bekräftigt, dass die Geldhüter trotz der Ungewissheit in China um die Jahreswende über eine Straffung der Geldpolitik nachdenken wollen.

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