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Gastkommentar : Das Ebitda vernebelt den Blick auf das Unternehmensergebnis

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Die Bilanzmethode kann die Realität der finanziellen Lage eines Unternehmens verdecken. AOL Time Warner könnte als klassisches Beispiel dienen.

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          Es war einmal vor langer Zeit, da erachteten die meisten Unternehmen ihre Umsätze, den Cash-flow und den Jahresüberschuss als die unantastbaren Maßstäbe ihrer Leistung - das seien die Zahlen, auf die sich auch die Anleger konzentrieren sollten. Dann, vor etwa zehn Jahren, entwickelten die Medien- und Technologieunternehmen ihren eigenen Leistungsmaßstab - eine Variation des Cash-flow, bekannt unter dem Namen Ebitda oder Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und (Firmenwert-)Amortisierungen. Auch die Telekommunikationsunternehmen passten sich recht bald an. Im Laufe der folgenden Jahre begannen die Branchen, die das Ebitda begeistert angenommen hatten, es als die im Gegensatz zum Jahresüberschuss geeignetere Gewinngröße anzupreisen.

          Die Begründung für die Verwendung des Ebitda war, dass diese Kennzahl das reflektiere, was im Kerngeschäft tatsächlich passiere. Ausgaben, die theoretisch ohne Bedeutung seien, würden ausgeklammert. Die Buchhalter, die diese Idee geboren haben, arbeiteten für Unternehmen, die hohe Schulden aufgetürmt hatten, um Akquisitionen zu finanzieren. Sie argumentierten nun damit, dass je nachdem ob in den Vorjahren Akquisitionen getätigt oder Verluste gemacht worden seien, die Steuerschuld variiere, so dass der Jahresüberschuss verzerrt würde. Zudem führten sie an, dass die Wertabschreibungen - die in Zeiten häufiger Übernahmen steigen - keinen realen Abfluss von Barmitteln bedeuten würden, und daher auch nicht die Gewinne künstlich vermindern dürften.

          Verschönerte Gewinne

          Und was ist mit den Zinszahlungen für die Schulden in Milliardenhöhe? Nun, das spiegele nicht wirklich wider, wie sich die Umsätze eines Unternehmens entwickelten, zumindest nicht in den Augen einiger Buchhalter. Diese Erklärung führt James Owers, Professor für Finanzen am Robinson College of Business der Georgia State University noch weiter aus: „Das Ebitda ist das, was die operativen Manager dem Leiter der Finanzabteilung aushändigen, damit er die Steuern und die Kreditzinsen zahlt.“

          Es zeigt sich aber auch, dass das Ebitda noch eine andere Aufgabe hat: Die Anleger von den übermäßig belastenden Schulden und den chronischen Kosten des Unternehmens in Relation zu seinen Gewinnen abzulenken. Gary J. Previts, Professor für Rechnungswesen an der Case Western Reserve University in Cleveland, ist aufgefallen, dass plötzlich zahlreiche Bilanz- und Finanzexperten tatsächlich begonnen haben, das Ebitda mit Skepsis zu betrachten. Als ein Trick, um die Gewinne aufzumöbeln. Auch Chuck Hill, Managing Director bei First Call/Thomson Financial und der Milliardär und Großinvestor Warren Buffett haben deutlich darauf hingewiesen, dass das Ebitda in erster Linie dazu diene, die Finanzergebnisse zu verschönern.

          Pamela Stumpp, Manager Director bei Moody's Investors Service erklärt, dass die Betonung auf das Ebitda oft irreführend sei, da es den Cash-flow zu sehr hervorheben könne und wenig, wenn nicht sogar überhaupt nichts, über die Gewinnqualität aussage. Dabei würden Veränderungen des Betriebskapitals ignoriert, die Hinweise darauf geben könnten, ob ein Unternehmen seine Mittel übersteige. Das Ebitda „kann vom Boden der Tatsachen abheben,“ meint Stumpp, die im Jahr 2000 einen Bericht über die Mängel des Ebitda verfasste, der zu der Zeit weite Kreise zog. „Es darf nicht als der hauptsächliche Bestimmungsfaktor des Cash-flow verwendet werden.“ Noch immer behandelten einige Unternehmen das Ebitda so, als ob es höher angesehen werden sollte, als der Cash-flow.

          Sagen Sie einfach „IBIDDA“

          Zugegeben, AOL Time Warner (AOL) und andere Unternehmen, die das Ebitda verwenden, weisen immer auch den Jahresüberschuss der Muttergesellschaft und andere essenzielle Größen aus, die von der Securities & Exchange Commission (SEC) verlangt werden. Nach Ansicht der Kritiker werde jedoch noch immer viel zu oft das Ebitda als das Maß aller Dinge hervorgehoben. So gebe AOL Time Warner seine Gewinnprognosen nur in Form des Ebitda heraus. Und auch die Leistungen jedes einzelnen Geschäftsbereichs werde nur mit Hilfe des Ebitda angegeben. Richard Parson, Chief Executive von AOL, verwendet das Akronym so häufig in seinen Gewinnmeldungen, dass er dafür bereits seine ganz individuelle Aussprache entwickelt hat: „Ibidda.“

          Am 29. Januar werden die Anleger Parsons „Ibidda“ sehr häufig zu hören bekommen. Denn an diesem Tag wird AOL Time Warner die Ergebnisse des vierten Quartals bekannt geben. Das Ebitda 2002 soll rund 8,8 Milliarden Dollar betragen, eine Steigerung um fünf bis sechs Prozent. Das wurde bereits vorab angekündigt und klingt auch viel besser als ein Nettoverlust in Höhe von 53 Milliarden Dollar, gegenüber einem Vorjahresverlust von 4,9 Milliarden Dollar, den AOL wahrscheinlich vorzubringen hat.

          Die hohe Verlustsumme für das Jahr 2002 wird Abschreibungen in Höhe von 54 Milliarden Dollar enthalten, und zwar für den Überschuss, den AOL für Vermögenswerte von Time Warner im Vergleich zu ihrem eigentlichen Wert gezahlt hat. Aber auch wenn man diese überdimensionalen nicht baren Kosten ausklammert, erzielte AOL nach Schätzungen des Analysten Michael Gallant von CIBC World Markets nur einen Ertrag in Höhe von rund 927 Millionen Dollar - oder weniger als zehn Prozent des Ebitda.

          2003 wird AOL wahrscheinlich eine weitere Goodwill-Abschreibung vornehmen. Diese wird den geschmolzenen Wert von America Online widerspiegeln. Youssef Squali, Analyst bei First Albany, erwartet, dass diese zweite Abschreibung zehn Milliarden Dollar überschreiten wird. Aber sie wird natürlich nicht in AOLs Ebitda-Schätzung für 2003 auftauchen.

          Die Frage nach den Zinszahlungen

          Natürlich enthalte diese Ebitda-Berechnung nicht den großen Schuldenberg von AOL, merkt Robert Burgoyne, Finanzberater bei Ellicott City an. Mit langfristigen Krediten in Höhe von 28 Milliarden Dollar habe AOL im Jahr 2002 wahrscheinlich mehr als 1,7 Milliarden Dollar an Zinsen gezahlt. Die gleiche Summe dürfte wohl 2003 zu begleichen sein. Damit entsprächen die Zinszahlungen 20 Prozent des Ebitda. Die bevorzugte Methode zur Darstellung der Gewinne ignoriere jedoch einfach einen der größten Ausgabenblöcke.

          Es ist natürlich nicht verboten, das Ebitda herauszuposaunen. Hunderte Unternehmen veröffentlichen ihr Ebitda und die meisten Investmentbanken erachten es immer noch als sinnvolle Kennzahl, um die Bonität eines Unternehmens zu beurteilen. „Letztlich ist es das Recht des Unternehmens auf die Redefreiheit,“ erklärt Professor Previts. So lange die Unternehmen in den Formularen für die Berichterstattung an die SEC all die geforderten Finanzdaten vorweisen würden, dürften sie in ihren Pressemitteilungen und Gewinnmeldungen ihre Zahlen auf jede beliebige Art und Weise veröffentlichen.

          Das Problem im Fall AOL Time Warner sei, dass das Ebitda nicht das reflektiere, was wirklich passiert, meint Peter Cohan, ein unabhängiger Finanzberater in Malborough, Massachusetts. „Das Ebitda gehört zu den üblichen Weisheiten der Medienbranche, die jetzt noch weniger Sinn machen als je zuvor,“ bekräftigt er seine Aussage. AOL lehnte einen Kommentar ab, obwohl das Unternehmen das Ebitda in seinen Gewinnmeldungen als eine gültige Kennzahl für die Unternehmensleistung verteidigt.

          Es steht AOL Time Warner frei, diese Position zu vertreten. Da aber die Kritik am Ebitda zunimmt, könnte allein die Tatsache, dass das Unternehmen diese Kennzahl verwendet, den ungewollten Effekt haben, dass nun die dunklen Seiten der Unternehmensbilanz noch genauer unter die Lupe genommen werden.

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