Zum Tode Lisa della Casas : Und immer wieder Arabella
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Sie näherte sich dem Ideal klanglicher Schönheit und gab ihren Figuren kühle Noblesse: Zum Tode der Sopranistin Lisa della Casa.
Arabellissima ist tot. Diesen Namen verlieh ihr einst der Kritiker Edmund Nick: „Sie werden einmal meine ideale Arabella sein“ - hatte nämlich Richard Strauss 1946 der jungen Sopranistin prophezeit, als sie auf Zürichs Opernbühne die Zdenka neben der berühmten Maria Cebotari in der Titelpartie sang. Jetzt ist Lisa della Casa im Alter von dreiundneunzig Jahren gestorben.
In der Gestalt der jungen, strahlenden Hofmannsthal-Schöpfung, die der Oper des Dichters und ihres Komponisten zugleich den Namen gab, wird sie bei allen älteren Opernbegeisterten noch eine Zeitlang als wunderschöne Bühnenerscheinung in der Erinnerung weiterleben, und für die jüngeren Generationen bewahren Schallplatte und CD ihre Stimmherrlichkeit: die vokalen Berückungen des Richard Strauss, Mozarts edle Kantabilität, Händels barocken Stimmprunk, Webers und Wagners romantische Sängerverlockungen, denen sie stets eine leise Kühle mitgab, damit die Figuren nicht in gefühliges Sentiment abglitten. Vor allem bei Strauss entfaltete sich ihr Gesang auf wundersamste Art: Ihr instrumentaler Singstil, das geschmeidige Fließen der Linien, die runde Tonschönheit, die subtilen Schattierungen korrespondierten ideal mit Timbre und Temperament der Sängerin.
Vorrang für die Schönheit des Tones
Als wohlerzogene Schweizer Bürgerstochter wahrte Lisa della Casa auch auf der Bühne immer Haltung, sie gab den Figuren, die sie darstellte, eine gewisse Noblesse. Das exzessive Eindringen in eine dramatische Person, das Ausspielen heftiger Emotionen gehörten nicht zu ihrem „Stil“. Selbst als Salome ließ sie sich nicht „gehen“ - sie blieb eine vornehme Prinzessin, die nur, weil es die alte Geschichte verlangt, artig den Kopf des Jochanaan fordert: Man weiß zwar von menschlichen Abgründen, doch begibt man sich nicht in diese hinein.
Lisa della Casa achtete sorgsam darauf, dass die Schönheit des Tones nicht durch heftiges Agieren, durch das Ausspielen psychischer Gebrochenheit beeinträchtigt werden konnte. Mozarts Menschen sang sie hinreißend kantabel, auch mit der notwendigen Spiritualität und kontrollierter Sinnlichkeit. Die letzten Geheimnisse aber von Donna Anna, Donna Elvira, von der „Figaro“-Gräfin, Pamina und Fiordiligi bewahrte sie gern für sich.
Vor Bayreuth auf der Hut
Lisa della Casas Name verbindet sich mit zahlreichen repräsentativen Opernereignissen der Nachkriegsjahre. Die Donna Anna sang sie unter Karl Böhm zur Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper 1955, die Marschallin im „Rosenkavalier“ 1960 unter Karajan zur Eröffnung des Großen Festspielhauses in Salzburg, die Cleopatra in Händels „Giulio Cesare“ hinreißend bei der Wiedereröffnung der Bayerischen Staatsoper 1963 und die Donna Elvira unter Böhm bei der Eröffnung der neuen „Met“ im Lincoln Center 1966. Bayreuth dagegen stand sie eher ablehnend gegenüber. Sie mochte die „steife und prätentiöse Atmosphäre dieses Tempels“ (Zitat) nicht. Gleichwohl verlieh sie in den „Meistersingern“ der Eva einen wunderbaren lyrisch-silbrigen Glanz: eine wirkliche Goldschmiedstochter eben, keine „Gans“, wie Thomas Mann die Figur einmal bezeichnete.
Lisa della Casa verschmähte es nicht, mit ihren favorisierten Partien an den wichtigsten Opernhäusern der Welt aufzutreten. Gleichwohl bewirkten die zunehmende Reisetätigkeit der Opernsänger in den sechziger Jahren sowie die schleichende Auflösung der festen Ensembles an den Operntheatern bei Lisa della Casa den Entschluss, ihre Karriere vorzeitig zu beenden.
Mit fünfundfünfzig Jahren, 1974, trat sie ab. Ihr abrupter Abschied von der Bühne wurde zur Anekdote: „Dann fahr ich fort von Euch auf Nimmerwiedersehen“ - in einer „Arabella“-Vorstellung an der Wiener Staatsoper 1974 betonte sie die Worte Arabellas mit besonderem Nachdruck. Niemand maß diesem kurzen Augenblick Bedeutung bei. Doch hatte Lisa della Casa damit, auf diskrete Weise, wie es ihrer Art entsprach, das Ende ihrer Bühnenlaufbahn verkündet.