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Zum Tode Hans Wollschlägers : Der größte aller Diener

Der Essay war seine Stärke: Hans Wollschläger

Der Essay war seine Stärke: Hans Wollschläger Bild: Archiv

Obwohl er als eines der größten Talente unter den deutschen Schriftstellern galt, blieb er diesem Versprechen stets nur dicht auf den Fersen. Seine größten Erfolge feierte er als Übersetzer, auch des „Ulysses“. Jetzt starb Hans Wollschläger mit 72 Jahren.

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          Alle, die Hans Wollschläger kannten, aber auch alle, die über ihn redeten oder schrieben, mussten sich eingestehen, dass sie seinen Leidenschaften nur zum Teil - oft zum geringen Teil - folgen konnten. Kein anderer Name der deutschen Nachkriegsliteratur ist so fest an künstlerische Wahlverwandtschaften und bedingungslose Loyalitäten gebunden wie der Hans Wollschlägers. Einmal erwählt, war dem Objekt seiner Bewunderung lebenslange Treue sicher, die sich in hingebungsvoller philologischer Arbeit niederschlug.

          Paul Ingendaay
          Europa-Korrespondent des Feuilletons in Berlin.

          Da war die frühe Karl-May-Biographie (1965) und das jahrzehntelange Werben um einen angeblich unterschätzten, als „Jugendautor“ abgestempelten Epiker; die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Arno Schmidt, der neben vielem anderen eine gemeinsame Übersetzung von Poes Gesamtwerk entsprang; die große Friedrich-Rückert-Edition, der bis zuletzt Wollschlägers Einsatz galt.

          Literaturkritik war respektvoll, aber ratlos

          Und da sind die kürzeren und längeren Essays, seine eigentliche Form, seine Paradedisziplin, in der er zu den paar Großen der letzten Jahrzehnte gehörte. Vielleicht gab es auch das nur einmal in der deutschen Literatur: einen Schriftsteller, Essayisten und Herausgeber von solchen Graden, der zwar die eigene Position mit hochfahrendem Sprachgestus verteidigte, aber nie aufhörte, ein Jünger zu sein. Im Alter von zweiundsiebzig Jahren ist Hans Wollschläger jetzt in Bamberg gestorben.

          Auf der Strecke blieb sein ehrgeizigstes literarisches Projekt, der Roman „Herzgewächse oder der Fall Adam“, dessen erster Teil 1982 erschien und dem (trotz des Gerüchts, Arno Schmidt habe die Fortsetzung gelesen) keine weitere Lieferung mehr folgen sollte. Vor den experimentellen Verfahren, der Anspielungsfülle und den verschiedenen Schrifttypen dieses Buches stand die Literaturkritik respektvoll, aber einigermaßen ratlos da.

          Versuchung, „Ulysses“ zu verbessern

          Zu Recht: Was darin begonnen wurde, konnte nicht eingelöst werden, und jenseits der routinierten Verbeugung vor dem avantgardistischen Wollen dieses Künstler- und Bewusstseinsromans bleibt festzuhalten, dass Wollschläger kein Erzähler und der Roman eindeutig nicht seine Gattung war. Am Ende, so berichtete einer seiner Freunde, habe er jedem Satz eigener Fiktion misstraut und kaum noch ein Wort gelten lassen.

          So ist es nicht als Ironie, sondern als zwingende Lebenswendung aufzufassen, dass einer der originellsten Köpfe der deutschen Literatur erst als Diener zu echtem Ruhm kam, nämlich mit seiner hochgelobten Übersetzung von James Joyces' „Ulysses“ (1975). Auf Lesungen erzählte Wollschläger, der ein glänzender Rezitator war, der Übersetzer sei hier und dort naturgemäß versucht gewesen, den epochalen Roman ein wenig zu verbessern. Dass er ihn in dieses Deutsch brachte, wird der Nachwelt aber reichen.

          Durch tausende Seiten Theologenprosa gekämpft

          Das Bewusstsein eigener Überlegenheit hat sich im stilistischen Gestus des Kirchenmusikers und psychoanalytisch geschulten Schriftstellers durchaus niedergeschlagen. Auch in dem, was man seinen aufklärerischen Furor nennen muss. Ihm verdanken seine Leser hier brillante, dort wütende und in ihrer Wut enervierende Seiten. In den kirchenkritischen Büchern „Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem“ (1973) und „Die Gegenwart einer Illusion“ (1979) zum Beispiel rennt Wollschläger ein paar offene Türen zu viel ein, und allein bei dem Gedanken, dass er sich durch viele tausend Seiten Theologenprosa gekämpft hat, um den endgültigen Essay gegen Helmut Thielicke zu schreiben, wird einem flau.

          Der pausbäckige Titel eines Thielicke-Buches, „Zu Gast auf einem schönen Stern“, muss dem Mann aus Bamberg, der sich ein wenig als Nachfolger von Schopenhauer und Karl Kraus begriff, wie gellender Hohn in den Ohren geklungen haben.

          „Die Masse erdrückt, auch mit ihrer Zuneigung“

          Nimmt man die Produktion der letzten Jahre und Wollschlägers Stellung im deutschen Literaturbetrieb, bleibt der Eindruck eines ewigen Jünglings, der dem Versprechen auf die eigene Größe dicht auf den Fersen blieb, am Ende aber seine Energien - es muss seine Wahl gewesen sein - auf zahlreiche kleinere und mittlere Aufgaben verteilte, darunter die Streitschrift „Tiere sehen dich an“ (2002), die bewegende Erinnerung an seinen Lehrer Adorno (“Moments musicaux“, 2005) und die Bündelung seiner literaturkritischen Schriften in zwei Bänden unter dem Titel „Von Sternen und Schnuppen“ (2006).

          Am Beispiel von Glenn Gould hat Wollschläger über die „Kultfigur“ geschrieben, was er selbst tief empfunden haben dürfte: „Die Masse erdrückt, auch mit ihrer Zuneigung; wälzt sie sich ihrer nächsten Begeisterung zu, so lässt sich mit dem hinterbliebenen Rest nichts mehr anfangen; nichts ist so tot wie der Kultus von gestern.“

          In diesem Sinne also wird er nicht sterben können. Längst erscheint beim Wallstein Verlag in Göttingen eine Gesamtausgabe, die seiner würdig ist und die editorische Verstreuung seines Werks beenden wird. „Ich meide ,die Menschen' keineswegs“, hat Hans Wollschläger einmal mit apartesten Anführungszeichen gesagt, „ich fürchte sie nicht und hasse sie nicht; ich bin nur - sagen wir - zunehmend wählerisch im Umgang mit ihnen geworden.“ Auch für Bücherleser ist das eine meisterhafte Lektion.

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