Zum Tod von Wolf Jobst Siedler : Von der Lust, gegen den Strich zu denken
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Wolf Jobst Siedler (1926 - 2013), hier auf einem Archivfoto, das ihn am Stand seines Verlags auf der Frankfurter Buchmesse 1996 zeigt. Bild: dpa
Über Preußens Geschichte und deutsche Gegenwart: Der profilierte Verleger und Publizist Wolf Jobst Siedler ist im Alter von siebenundachtzig Jahren in Berlin verstorben.
Verleger, die selbst schreiben, gibt es einige. Aber vermutlich sind nicht viele unter ihnen, über die sich sagen lässt, was man als Bemerkung über Wolf Jobst Siedler öfter zu hören bekam: dass er seine Autoren doch manchmal recht in Verlegenheit brachte, weil er einfach besser als sie schrieb. Der Verlagsmann, der 1980 seine eigenen, drei Jahre später auch unter seinem Namen auftretenden Verlag gründete und bis 1998 führte, wird das bei aller Loyalität zu seinen vielen berühmten Autoren nicht ganz ungern gehört haben.
Schließlich war Siedler einige Jahre Feuilletonchef des Berliner „Tagesspiegel“ gewesen, bevor er 1963, damals siebenunddreißig Jahre alt, die Leitung des Propyläen-Verlags im Hause Ullstein übernahm. Dort hatte er dann nicht nur mit großen Editionen – von der Propyläen-Weltgeschichte bis zu den vorzüglichen Ausgaben der „Ullstein-Materialien“ – und mit Büchern wie der Hitler-Biografie Joachim Fests (1972) oder Albert Speers „Spandauer Tagebüchern“ (1975) bereits ein beeindruckendes Stück Verlagsgeschichte geschrieben.
Rückschau und Zeitkritik
Es setzte damals auch die Reihe seiner eigenen Bücher ein, die ihn als selbstbewussten Essayisten konservativer, dabei aber alles anderes als engstirniger Prägung zeigten. Rückblicke auf die deutsche Geschichte, auf die heroische Zeit ihres kunstsinnigen Bildungsbürgertums waren für sie zentral: Erprobungen dessen, was an dieser Erbschaft nach der deutschen Katastrophe noch in Anschlag zu bringen war.
Der Grundton der Rückschau war unüberhörbar, doch war er nicht einfach auf Abschied gestimmt. Aus den historischen Erinnerungen speisten sich Motive des Einspruchs und der Lust, gegen den Strich zu denken, wie es der Titel eines seiner Bücher festhält – samt mitunter recht kühnen Urteilen. Richard von Weizsäcker, der ihn gern in einem politischen Amt gesehen hätte, attestierte ihm, seine Freude an provozierendem Witz nur ungern zu zügeln.
Berlin in Glanz und Elend
Nirgends hat sich diese Entschiedenheit der Urteile deutlicher gezeigt als in den Büchern und Essays, die von Vergangenheit und Gegenwart seiner Stadt, von Berlin, handeln. Dort wurde er 1926 geboren, als Sohn eines Juristen, der noch Konsul im Kaiserreich gewesen war, und mit illustren Vorfahren aus bürgerlichen und künstlerischen Kreisen. In Berlin studierte er auch – Philosophie, Soziologie und Germanistik –, nachdem er gegen Ende des Krieges wegen „Wehrkraftzersetzung“ zu Zuchthaus verurteilt worden war und die „Bewährung“ an der italienischen Front in britischer Kriegsgefangenschaft geendet hatte.
Berlin, das war der Mittelpunkt der preußischen Geschichte, deren Bilanz er so beredt gezogen hat. Auch das ein Abschied, der unmittelbar in die Auseinandersetzung mit der Gegenwart mündete. Nicht zuletzt in Form einer Architekturkritik, die bei ihm zur Zeitdiagnose mit tiefem historischem Hintergrund wurde. Man kann sie auch als eine Facette im großen historischen und zeitgeschichtlichen Programm betrachten, das er als Verleger in seinem eigenen Berliner Haus auf den Weg brachte: von den Erinnerungen Richard von Weizsäckers, Helmut Schmidts oder Hans-Dietrich Genschers über die zehnbändige Edition zum deutschen Widerstand bis zum Mammutprojekt „Die Deutschen und ihre Nation“. Auch vor einem Debattenbuch wie Daniel J.Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“ schreckte er nicht zurück.
In Dahlem hat der Kunstliebhaber Wolf Jobst Siedler gewohnt, unter Dingen, so formulierte er es einmal, die sich an ihrem Platz eingelebt haben. Am Mittwoch ist er nach langer Krankheit mit siebenundachtzig Jahren in Berlin verstorben.