https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zum-tod-von-abdelwahab-meddeb-aufklaerer-im-islam-13253432.html

Zum Tod von Abdelwahab Meddeb : Aufklärer im Islam

Abdelwahab Meddeb (1946 - 2014) Bild: Baptiste FENOUIL/REA/laif

Er kämpfte gegen die Gewalt der Islamisten und beschwor seine doppelte Herkunft als Muslim und Europäer: Der in Frankreich lebende tunesische Schriftsteller Abdelwahab Meddeb ist tot.

          2 Min.

          In Frankreich war der 1946 in Tunesien geborene Abdelwahab Meddeb ein bedeutender Intellektueller. Noch im September protestierte er in „Le Monde“ gegen die Ermordungen westlicher Staatsbürger und rief die Muslime auf, diese Gewalt zu verurteilen: „Wie kann man diese Barbaren stolz auf ihre Verbrechen sein lassen, wie kann man sie den Islam beschmutzen und in unserem Namen handeln lassen?“

          Jürg Altwegg
          Freier Autor im Feuilleton.

          Abdelwahab Meddeb war der Sohn eines Theologen, der sich auf die juristische Auslegung des Korans spezialisiert hatte. Sein Großvater  wirkte als Professor an der im 9. Jahrhundert begründeten Zitouna-Universität. Meddeb  kam zum Studieren nach Frankreich: Literatur und Kunstgeschichte in Aix-en-Provence und an der Sorbonne. Seit 1967 lebte er in Paris.  

          Muslim und Europäer, Araber und Franzose

          Meddeb arbeitete als Lektor im Verlag Seuil, wo er jahrelang eine literarische Reihe betreute. Auch eine Zeitschrift hat er begründet. Seit 1997 leitete er die wöchentliche  Sendung „Culture d’islam“ auf „France Culture“. Abdelwahab Meddeb war ein Vermittler, der sich auf seine „doppelte Herkunft“ berief: als Muslim und Europäer, als Araber und Franzose. Er war aber vor allem Laizist – und äußerst mutig in seinen Äußerungen über den Islam.

          „Für die Islamisten“, erklärte er, „sind wir Sufisten noch schlimmer als die Christen. Denn für die Christen ist Gott einmal Mensch geworden – für die Sufisten ist er in jedem Mensch verkörpert.“  Auch in den heftigen Debatten nach der Rede von Papst Benedikt an der Universität Regensburg meldete er sich zu Wort: „Die Muslime müssen sich der Frage ‚Islam und Gewalt‘  stellen. Der Zusammenhang ist ein Faktum, in der Geschichte und in den Schriften. Wir haben es mit einem Propheten zu tun, der gewalttätig war, der selber getötet und zum Töten aufgerufen hat.“

          Ein „laizistischer Integrist“

          Meddeb äußerte durchaus Kritik am deutschen Papst. In erster Linie ging es ihm um dessen Meinungsfreiheit im Sinne der Toleranz für alle. Auch für jene, die anders denken und glauben. Der tunesisch-französische Schriftsteller forderte eine Aufklärung des Islams und hielt sie für möglich.

          Abdelwahab Meddeb hinterlässt als Übersetzer, Poet, Schriftsteller und Essayist ein imposantes. Werk. Seine theoretischen Schriften wie „Die Krankheit des Islam“ und „Zwischen Europa und Islam: 15 Gegenpredigten“ liegen in deutscher Übersetzung vor. Sie lösten heftige Diskussionen aus und wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Auch seine Romane „Aya“ und „Talismano“ erschienen im deutschen Verlag Wunderhorn.

          Zeitweise lebte Abdelwahab Meddeb in Spanien. Mit Tunesien blieb er eng verbunden. Er freute sich über den „arabischen Frühling“ und den Sturz des Diktators Ben Ali: Demokratie wurde mit dem Islam vereinbar. „Noch fehlen uns ein Lech Walesa und Vaclav Havel“. Seither wurde ihm in Tunesien gelegentlich der Vorwurf gemacht, er sei gegenüber ehemaligen Parteigängern des Regimes - die auch in der neuen Sammelpartei  Nidaa Tounes, die Ende Oktober bei der Parlamentswahl die Mehrheit erreichte, präsent sind - zu wenig kritisch.

          Am wirkungsvollsten ist Vermittlung, wenn sie zu einer Versöhnung führen kann. In ihrem Sinne war Abdelwahab Meddeb durchaus zur Selbstkritik fähig. „Ich war ein laizistischer Integrist“, erklärte er in einem Interview mit „Libération“. „Aber ich habe mich verändert. Man kann den Laizismus und die Demokratie nicht von oben durchsetzen. Die Freiheit ist ein Recht für alle.“

          In Paris ist Abdelwahab Meddeb im Alter von 67 Jahren seinem Krebsleiden erlegen.

          Weitere Themen

          Wo das Vorurteil beginnt

          „Rezitativ“ von Toni Morrison : Wo das Vorurteil beginnt

          Toni Morrison hat nur ein einzige, geniale Erzählung geschrieben. Jetzt erscheint sie erstmals auf Deutsch. „Rezitativ“ fragt, warum wir die einen Menschen für weiß und die anderen für schwarz halten.

          Zu schwer für diese Welt

          Theaterpremiere in Wien : Zu schwer für diese Welt

          Zu schwer füreinander: Mateja Koležnik inszeniert Horvaths „Kasimir und Karoline“ am Wiener Burgtheater. Kein schlechter Abend, aber statt ums Gemüt geht es ihm vor allem um Stimmung.

          Topmeldungen

          Die Polizei geht in Tel Aviv mit Wasserwerfern gegen Demonstranten vor.

          Israel : Wütende Massenproteste, Armee in Alarmbereitschaft

          Nach der Entlassung des Verteidigungsministers gehen Zehntausende auf die Straße. Die USA fordern die israelische Führung auf, im Streit um die Justizreform „sobald wie möglich einen Kompromiss zu finden“.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.