Klaus Wagenbach gestorben : Seine Neugier auf eine großzügige Welt
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Klaus Wagenbach Bild: Jens Gyarmaty
Ein linker katholischer Preuße: Klaus Wagenbach hat sich als Verleger mit Staatsanwälten angelegt und später auf kulturwissenschaftliche Themen gesetzt. Jetzt ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.
Im Alter, als Klaus Wagenbachs Stimme brüchig geworden war, hatten sein Zukunftsmut, seine unbedingten Überzeugungen im Hinblick auf tagespolitische Details und alle daraus resultierende Lust zum Echauffement sich weitgehend verkrümelt und seiner leicht fatalistischen Menschenfreundlichkeit ihren Platz gelassen. Nur die Ironie begleitete ihn ungebrochen bis zum Tod. Bedauerlicherweise zählt sie nicht zu den drei Grazien und nicht zu den neun Musen. Weil indes kaum je ein Verleger sein Geschäft ohne Ironie verfolgen konnte, ist es ein wahres Versäumnis der Kulturgeschichte, dass sie keine allegorische Figur der Ironie zu bieten hat. Klaus Wagenbach musste sich ganz allein eine Gestalt aussuchen, die seiner Denkungsart gemäß war. Seine Wahl: das Kaninchen, das er für einen „Überlebenskünstler“ hielt. Als „Totemtier“, wie der Dichter Erich Fried es nannte, war das Kaninchen für einen über dem Abgrund bilanzierenden Verlag also wie geschaffen.
Und noch eine zweite Eigenschaft ist es, neben der Ironie, die ein unabhängiger Verleger benötigt: Eigensinn. Der wurde dem kleinen Klaus von seinem Großvater beispielhaft geboten. Der hatte über seinem Hauseingang die Worte anbringen lassen: „Etsi omnes ego non“ – Und wenn alle, ich nicht. Die Nazis fühlten sich angesprochen, und so erging der Befehl, der Großvater habe die Schrift zu entfernen. Das tat er dann auch. Aber fast wie Fontanes Ribbeck hatte er „vorausahnend schon“ Messinglettern gewählt: Sein Bekenntnis sollte wären. Als Maurerpolier hatte er natürlich gewusst, dass Messing auf Putz seinen Schatten hinterlässt: Das Messing verschwand, die Schrift blieb lesbar.
Wagenbachs im Herzen konservativ-katholischer Vater kämpfte für Bodenreform, gegen Mietskasernen und Großgrundbesitz. Als sein sozialreformerischer Verein verboten wurde, widerstand er dem pragmatischen Drängen seiner Frau, in die NSDAP einzutreten und verschanzte sich während der NS-Zeit auf einem unbedeutenden Posten in einer Bank. Seinen Sohn, der im Juli 1945 fünfzehn Jahre alt wurde, schickte er auf die Felder zum Fingerhut pflücken: Mit anderen Zutaten vermischt, ergab das ein Mittel, mit dessen Hilfe, so Wagenbach, Herzkranke und Diabetiker „im ganzen Gießener Raum“ überlebten. Merke: Auch Ironie und Eigensinn allein machen noch keinen großen Verleger – es braucht Tatkraft.
Was sonst nur in Märchen vorkommt
Aber warum überhaupt die Verlegerei? Wagenbach las gern, und als die NS-Zensur nicht mehr galt, kamen aufregende, verstörende, grandiose Bücher ins Land. Rowohlts-Rotationsromane auf Zeitungspapier machten sie erschwinglich. Wagenbach las und las, und noch bevor er alles gelesen hatte, bewarb er sich für eine Buchhandelslehre beim Suhrkamp Verlag, vormals S. Fischer. Eine Anfangsübung bestand darin, dass ein Hersteller ihm ein Buch gab: Er solle nach dem Gewicht die Seitenzahl schätzen. Der erste Satz des Buches lautet: „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben.“ Den praktischen Zugriff auf Franz Kafka hat Wagenbach beibehalten.