Eberhard Jüngel gestorben : Um Gott braucht der Mensch sich nicht zu sorgen
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Eberhard Jüngel an seinem Schreibtisch in Tübingen Bild: picture-alliance/ dpa
Er hat Generationen von Studenten geprägt, war Kanzler des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste und Ehrendomprediger am Berliner Dom: Zum Tod des Theologen Eberhard Jüngel.
Als Lehrer war er unerbittlich. Gerede ließ er nicht durchgehen. Das griechische Neue Testament hatte stets griffbereit zu sein, und wer rigoroses Denken scheute, war fehl am Platz. Wer bei Jüngel studierte, lernte Texte lesen, die großen Entwürfe der europäischen Philosophie und die zentralen Texte der theologischen Tradition. Man las Satz für Satz und Absatz für Absatz, prüfte jede Formulierung, spürte jeder Wendung des Gedankens nach, ließ keine Sinnnuance undiskutiert.
Auch in den Jahren der Studentenrevolten und ihrer Nachwehen gab Jüngel keinen Deut nach. Für theologische Wohlstandssozialisten und akademische Schreibtischrevolutionäre hatte er nichts übrig. Theologie war für ihn kein Zeitgeistverstärker. In ihr geht es um Wahrheit, die frei macht, und die Grundfragen menschlicher Existenz. Die wusste er gedankenscharf und sprachsensibel zu thematisieren. Seine Vorlesungen waren deshalb überfüllt, und seine Predigten zogen die Zuhörer in Bann. Dass Theologie genau dadurch eine politische Dimension hat, dass sie unter den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen rigoros als Theologie betrieben wird, stand außer Frage. Von seinen Assistenten verlangte er auch die Kenntnis des Grundgesetzes der Bundesrepublik und der Verfassung der DDR.
Er war und blieb Bürger der DDR
Dort war Jüngel einen Tag vor dem Abitur als „Feind der Republik“ von der Schule verwiesen worden. Studieren konnte er evangelische Theologie nur an einer kirchlichen Hochschule. Dass die Kirche das möglich machte, hat er ihr nie vergessen. Zeitlebens blieb die Kirche für ihn der Raum der Freiheit und der Solidarität, wo man die Wahrheit sagen konnte und die gesellschaftlichen Denkverbote nicht galten.
Eberhard Jüngel, geboren am 5. Dezember 1934 in Magdeburg, studierte in Naumburg und Ost-Berlin, bei Gerhard Ebeling in Zürich, Karl Barth in Basel und dem Bultmann- und Heidegger-Schüler Ernst Fuchs in Berlin. Mit 27 Jahren wurde ihm wegen des Mauerbaus über Nacht eine Dozentur am Sprachenkonvikt in Ost-Berlin übertragen. Von 1966 bis 1969 lehrte er mit Genehmigung der DDR-Behörden in Zürich, dann wechselte er mitten in den Studentenunruhen nach Tübingen, wo er bis zu seiner Emeritierung 2003 als Ordinarius für Systematische Theologie und Religionsphilosophie sowie als Direktor des Instituts für Hermeneutik wirkte.
Gott ist mehr als notwendig
Viele Jahre lang weigerte er sich, einen Pass der Bundesrepublik zu beantragen. Er war und blieb Bürger der DDR auch im anderen deutschen Staat. Anders als für seine global präsenten Kollegen Moltmann und Küng, mit denen ihn über Jahrzehnte eine streitfreudige Freundschaft verband, waren Auslandsreisen für ihn daher immer schwierig. Umso intensiver engagierte er sich akademisch, kirchlich und öffentlich. Viele Jahre war er Ephorus des Evangelischen Stifts in Tübingen, Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Vorsitzender der Kammer für Theologie in Hannover. Er war Kanzler des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste und Ehrendomprediger am Berliner Dom.