https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zum-tod-des-historikers-manfred-messerschmidt-18548004.html

Nachruf Manfred Messerschmidt : Die Wahrheit über die Wehrmacht

  • -Aktualisiert am

Nestor der Militärgeschichte: Manfred Messerschmidt Bild: picture-alliance / dpa

Den Mythen über die Wehrmacht hat Manfred Messerschmidt ein Ende gesetzt. Er schuf dabei auch Maßstäbe für sein Fach. Im Alter von 96 Jahren ist der Militärhistoriker nun gestorben.

          2 Min.

          Man kann es gewiss als eine der größten Leistungen eines Wissenschaftlers würdigen, wenn seine Arbeit entscheidend dazu beigetragen hat, die Arbeit seiner Nachfolger leichter zu machen. Dem Militärhistoriker Manfred Messerschmidt ist das gelungen, weil er mit seinen Forschungen Konflikte austrug und zugunsten der wissenschaftlichen Wahrheit entschied, die seither nicht mehr ausgetragen werden müssen. Der gewonnene Erkenntnisfortschritt bedarf zwar der Absicherung durch damit öffentlich beauftragte Institutionen, aber wer ihn leugnet, kann dies immerhin nur zum Preis einer nicht kaschierbaren Ignoranz tun.

          Wer also immer noch vom „Anstand“ und der „Sauberkeit“ der deutschen Wehrmacht redet und öffentlichen Stolz fordert für deren Leistungen im Krieg, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er sich historisch nur dumm stellt oder es tatsächlich ist. Dass heute in Deutschland solche Haltungen bestenfalls Randerscheinungen sind, mag 77 Jahre nach Kriegsende selbstverständlich erscheinen. Vergessen wird gerne, dass es das Ergebnis akribischer ­Forschung ist. Für all das steht Manfred Messerschmidt.

          1926 in Dortmund geboren, wurde er noch gegen Kriegsende als Flakhelfer eingezogen. Sein Studium der Rechtswissenschaft brachte ihn nach Freiburg, weil er dort bei Gerhard Ritter studieren wollte. Er habe das Bedürfnis gehabt zu verstehen, was ihm und seiner Generation unter dem Nationalsozialismus passiert war, sagte er später. Messerschmidt forschte seit den Sechzigerjahren zur Wehrmacht. Seine 1969 veröffentlichte Studie zur deren Indoktrination durch den NS-Staat und ein Zweitstudium der Rechtswissenschaft führten ihn zu seinem Lebensthema, der Wehrmachtsjustiz. Von 1970 bis 1978 führte er das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr in Freiburg als dessen leitender Historiker.

          Für Messerschmidt war klar, dass eine deutsche Militärgeschichte nach 1945 auch eine Gesellschaftsgeschichte sein musste. Die Staatsbürger in Uniform der noch jungen Bundeswehr sollten über eine Militärgeschichte verfügen können, die den hohen Anforderungen der „inneren Führung“ des Soldaten genügen musste: Traditionsfähiges und nicht Traditionsfähiges selbst unterscheiden zu können. Von der Härte der Auseinandersetzungen, mit der im MGFA um die Bedeutung dieses Auftrages gekämpft wurde, zeugen etwa die Kontroversen um den deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 und die sogenannte „Präventivkriegsthese“ im 1983 erschienenen vierten Band des von Messerschmidt konzipierten Reihenwerkes „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“. Dass die deutsche Militärgeschichte heute international als Vorbild dafür gilt, wie eine Nation die Geschichte ihrer Streitkräfte aufzuarbeiten hat, verdankt sie nicht in geringem Maß Manfred Messerschmidt, der am 19. Dezember im Alter von 96 Jahren verstorben ist.

          Weitere Themen

          Seine ungebogene Musik

          150 Jahre Rachmaninow : Seine ungebogene Musik

          Vor 150 Jahren wurde Sergej Rachmaninow geboren. Seine Musik stößt bis heute auf Dünkel und Verachtung. Dabei war er ein Ingenieur der Form, ein Denker aus dem Geist der Glocken – und aufrechter Gegner Stalins.

          Topmeldungen

          Zug dahinter: U-Bahn in Hamburg

          Öffentlicher Nahverkehr : Das müssen Sie zum Deutschlandticket wissen

          Am Montag beginnt der Vorverkauf für das 49-Euro-Ticket, das im gesamten öffentlichen Nahverkehr gilt. Wie funktioniert es, für wen ist es geeignet – und wo kann man es kaufen? Antworten auf die wichtigsten Fragen im Überblick.

          Nachfolger von Nagelsmann : Passt Thomas Tuchel zum FC Bayern?

          Mainz, Dortmund, Paris, London – und nun: München. Aber ist der FC Bayern wirklich der richtige Klub, um konstant das Beste aus Thomas Tuchel herauszuholen? Eine Analyse in vier Kapiteln – mit Aussagen derer, die mit ihm arbeiteten.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.