Monica Vitti gestorben : Ihr Staunen über die Welt
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Faszination eines Gesichts: Monica Vitti im Jahr 1964 Bild: dpa
Sie war das Gesicht der Filme von Michelangelo Antonioni: Zum Tod der großen italienischen Schauspielerin Monica Vitti.
Am Ende von Michelangelo Antonionis Film „L’avventura“ läuft Monica Vitti durch ein Luxushotel im sizilianischen Taormina. Sie durchquert endlose Flure und Speisesäle, bis sie ihren Geliebten Sandro auf einer Couch mit einer anderen Frau erwischt. Dann stürzt sie aus dem Hoteleingang und rennt einen kleinen Hang hinauf bis zu einer Bank vor einer Kirche. Dort steht sie und weint, und plötzlich ist nur noch ihr Gesicht im Bild. Sandro folgt ihr und setzt sich vor ihr auf die Bank, sie streichelt seinen Kopf, und wieder sieht man nur ihr Gesicht. Dann weitet sich der Blick der Kamera, im Hintergrund erscheint der Umriss des Ätna, und das Bild erlischt.
In Antonionis Kinos ist die Wirklichkeit brüchig. Menschen verschwinden, Gefühle verflüchtigen sich, Liebespaare werden einander fremd. Der Raum verschluckt die Geschichten, die in ihm spielen. Aber Monica Vitti hat diesen Raum gefüllt, die Leere, die sich öffnet, wenn das Unerwartete eintritt, von dem Antonionis Filme erzählen: Wenn eine Frau sich in Luft auflöst und ihre Freundin ihre Stelle einnimmt wie in „L’avventura“, wenn eine Ehe zu Staub zerfällt wie in „La notte“ oder eine Fabrikbesitzersgattin den Boden unter den Füßen verliert wie in „Die rote Wüste“. Monica Vitti war das Gesicht dieser Filme, so sehr, dass man sie sogar dort sieht, wo sie gar nicht erscheint, wie in den letzten Bildern von „L’eclisse“ („Liebe 1962“).
Da haben sich der Börsenmakler Piero und die Übersetzerin Vittoria in der römischen Trabantenstadt EUR verabredet, doch keiner der beiden kommt zum Treffpunkt. Man sieht nur ihre Abwesenheit, aber die ist so intensiv, dass man einen Moment lang glaubt, die Leinwand müsse sich öffnen und die Liebenden träten daraus hervor.
Monica Vitti war schon in Kinofilmen und Fernsehserien aufgetreten, als Antonioni sie 1957 als Synchronsprecherin für seinen Film „Der Schrei“ engagierte. Aber durch ihn wurde sie zum Inbild ihrer Zeit. Wenn man die vier Filme wiedersieht, die sie berühmt gemacht haben, wundert man sich, wie viel sie darin redet, wie diskursiv und erklärungsfreudig ihre Figuren angelegt sind. Denn eigentlich hatte man immer nur ihr Gesicht in Erinnerung, die großen Augen, den halb geöffneten Mund. Und ihr Schweigen. Es ist der vollkommene Ausdruck dessen, wovon die Filme handeln: vom fassungslosen Staunen über die Welt.
Dass die Liebe aufhört oder einfach ihr Objekt wechselt; dass der Mensch die Erde, der er entstammt, zerstört und vergiftet; dass das Geld zu seinem Lebensinhalt wird – das alles ist nicht zu fassen, und dennoch geschieht es. Bei Antonioni bekommt es eine Geschichte, und weil die Geschichte um Monica Vitti kreist, spiegelt es sich in ihren Zügen. In den fünf Jahren, in denen sie mit Antonioni drehte und auch privat zusammenlebte, war sie der Inbegriff der Faszination, die eine Schauspielerin im Kino ausstrahlen kann.
Maria Luisa Ceciarelli, die sich vor der Kamera Monica Vitti nannte, hatte ein Leben vor Antonioni und eines nach ihm. Schon in den frühen Sechzigerjahren gab sie für Roger Vadim, Tinto Brass und Mario Monicelli die fröhliche Femme fatale, und als Antonioni nach London ging, um „Blow-up“ zu drehen, versuchte sie mit „Modesty Blaise“ den Sprung nach Hollywood. Nach dem Misserfolg des Films trat sie noch in zwei Dutzend italienischen Gangster- und Liebeskomödien auf, neben Marcello Mastroianni („Eifersucht auf Italienisch“), Vittorio Gassmann („Tango der Eifersucht“) oder Michele Placido („Theresa, die Diebin“).
Dass sie nicht durch diese vielen, sondern durch die wenigen Filme mit Antonioni unsterblich geworden ist, liegt weder an ihr noch an ihm. Sondern an beiden. An seinem Blick und an ihrem Gesicht. Und an der Zeit, die verging. Am Mittwoch ist Monica Vitti in Rom gestorben, wenige Monate nach ihrem neunzigsten Geburtstag.