Wulff-Debatte : Der Einbruch des Halbseidenen in die Politik
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Vor eineinhalb Jahren gehörte ich zu denen, die in Joachim Gauck den besseren Bundespräsidenten gesehen und sich darum öffentlich für ihn eingesetzt haben. Damals schrieb ich im "Spiegel" (und man möge mir dieses Selbstzitat nachsehen): "Wie immer diese Wahl ausgeht, die Regierung wird Schaden nehmen. Sollte Gauck gewinnen, demonstriert es ihre Uneinigkeit und Schwäche. Gewinnt Christian Wulff, werden wir der Koalition diesen Sieg nicht verzeihen."
Die Leidenschaft, mit der jetzt die Debatte um Wulffs Hauskredit und Urlaubsreisen, seine Vertuschungsmanöver und Erklärungsversuche geführt wird, wurzelt in dem Gefühl von Ohnmacht, in dem Angela Merkels brachiale Inthronisation ihres Kandidaten damals die Öffentlichkeit zurückgelassen hat. Ihr ging es nicht um den besten, gar parteiunabhängigen Kandidaten, sondern um innerparteiliche Machtkonstellationen und, so muss man annehmen, um einen Bundespräsidenten, dessen schwacher Ausstrahlung und Loyalität sie gewiss sein konnte. Sie hat ihn bekommen unter Aufbietung empörender Ignoranz gegenüber der öffentlichen Meinung und auch politischer Vernunft, die nach dem Rücktritt von Horst Köhler geboten gewesen wäre.
Der Kampf, der um Christian Wulff derzeit tobt, ist in Wahrheit ein Kampf um die politische Kultur in diesem Land, um die Machtanmaßung der Parteien, die zunehmende Missachtung des Parlaments durch die Bundeskanzlerin, um die durchsichtigen Taktierereien der Regierung wie der Opposition, die lieber eine staatliche Institution wie das Amt des Bundespräsidenten zu Bruch gehen lassen, als auf kurzfristige Machtvorteile zu verzichten. Dass dieser Kampf ausgerechnet von der "Bild"-Zeitung angeführt wird, mag zu manchem rätselhaften Umfrage-Ergebnis beitragen. Ungefähr ebenso viele Menschen, die Christian Wulff nicht mehr vertrauen, gönnen ihm eine zweite Chance.
Warum eigentlich, wenn er in den Augen der meisten Deutschen schon die erste nicht verdient hatte? Vielleicht glauben die Zweitchancebefürworter inzwischen, es sei gleichgültig, wer Christian Wulff folgen würde, weil ihre Stimme ohnehin nicht gehört wird, weil es das gleiche parteipolitische Gerangel mit deprimierendem Ergebnis geben würde wie beim letzten Mal. Vielleicht aber fallen ihnen auch nur ihre eigenen kleinen Betrügereien ein und sie halten ihre Nachsicht für einen Akt christlicher Nächstenliebe.
Oder sie denken an Gerhard Schröder, dessen Freundschaft zum AWD-Gründer Carsten Maschmeyer als Vorbild für Wulffs Aufstieg in die Hannoveraner Geldgesellschaft gedient haben mag. Bei Wikipedia steht: "Bundeskanzler Schröder trat im Jahr 2004 vor AWD-Führungskräften auf und soll laut einer internen AWD-Mitarbeiterzeitung erklärt haben: ,Sie als AWD-Mitarbeiter erfüllen eine staatsersetzende Funktion. Sichern Sie die Rente Ihrer Mandanten, denn der Staat kann es nicht.' Diese Nähe zur Regierung Schröder habe dazu geführt, dass viele Kunden dem AWD vertraut hätten.
Das Unternehmen vermittelte Zehntausenden Deutschen verlustreiche Fonds, die ihre Anteile zum Teil sogar auf Kredit finanzierten und letztlich viel Geld verloren. Laut vielen Geschädigten wurden die Produkte als sichere Altersvorsorge empfohlen." Wie kann sich die SPD über Wulff empören, ohne zu fürchten, dass ihr die Männerfreundschaften des Bundeskanzlers a. D., der aus Maschmeyers Armen umstandslos in die von Putin wechselte, um die Ohren fliegen?
Sehnsucht nach der Luxuswelt der Reichen
Er möchte nicht in einem Land leben, in dem man sich bei Freunden kein Geld mehr leihen kann, meinte Christian Wulff in seinem Fernsehinterview. Es ging um seine Anleihe von einer halben Million bei der Familie Geerkens. Gerichtet war der Satz an elf Millionen Zuschauer, deren Durchschnittseinkommen pro Haushalt bei 2700 Euro liegt und deren bürgerliche Freiheiten der Präsident pathetisch zu verteidigen vorgab.
Was ist da passiert? Wann hatte die Bundesrepublik in ihrer Geschichte vor Gerhard Schröder überhaupt jemals mit diesem Ruch von Korruption in höchsten politischen Ämtern zu tun? Sicher gab es Skandale, Spendenaffären, Amtsanmaßung: aber es ging nicht um persönliche Bereicherung oder gar die Sehnsucht nach der Luxuswelt der Reichen. Woran liegt es, dass jetzt keine Partei dem Einbruch des Halbseidenen entgegentritt?
Angela Merkel sollte handeln
Es wäre an der Bundeskanzlerin, die uns diesen Bundespräsidenten aufgezwungen und sich dabei verrechnet hat, ihren Irrtum zuzugeben und ihre schützende Hand von ihm abzuziehen. Niemand kann Angela Merkel verdächtigen, durch Glamour und Geld verführbar zu sein. Dann sollte ihr ausgeprägter Machtwillen sie auch nicht verführen, schlechten Sitten Vorschub zu leisten oder sie zu dulden, nur weil sie ihr nutzen.