
Aus für Wrigley’s Spearmint : Freiheit, die nach Minze schmeckt
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Sehnsuchtsobjekt wie die Coca Cola: Streifenkaugummi von Wrigley’s Bild: Picture Alliance
Mit der Entscheidung des Mars-Konzerns, seinen Streifenkaugummi vom deutschen Markt zu nehmen, geht auch ein Stück deutscher Geschichte zu Ende. Denn die Süßigkeit hatte enorme Wirkung – und rettete Leben.
Der Geschmack der Freiheit hat auch in unserer Familie eine Pfefferminznote. So oft hat unser Vater uns Kindern erzählt, wie ihm 1945 im zerstörten Frankfurter Ostend ein Mann in GI-Uniform, der erste Schwarze, den er je gesehen hatte, einen „Kaubonbon“ zuwarf.
Es muss ein biblischer Moment für den Elfjährigen gewesen sein, wie er erst ängstlich, dann vorsichtig kauend plötzlich das herbe Frisch zwischen den Zähnen spürte. „Wir sind als Feinde gekommen und als Freunde gegangen.“
Was der amerikanische Fotograf Tony Vaccaro in so lapidare Worte fasste, zeigen seine Bilder von der Stunde null: dieser unbeschreibliche Kontrast des Alltags in und nach dem Krieg – Jeeps neben archaischen Bauernfuhrwerken inmitten von Ruinen und dazwischen die Kaugummi kauenden GIs mit Mädchen im Arm, alle eben noch mit dem Tode bedroht.
Wie sehr der graumatte Streifen damals Sehnsuchtsobjekt war, der die Menschen bis in ihre Träume verfolgte, lässt sich bei J. D. Salinger nachlesen, der als junger Soldat den Horror im Hürtgenwald erlebt hatte und später mit seinem Roman „Fänger im Roggen“ Generationen von Lesern beeinflusste. Wovon der Autor im Angesicht des Todes phantasierte, stopften sich die deutschen Nachkriegskinder in ihre Hosentaschen, wenn sie die weißen „Wrigley’s Spearmint“-Packungen nicht gleich aufrissen.
Alles begann im Frankfurter Ostend
Allein 23 Tonnen Kaugummi warfen die amerikanischen Candy-Bomber-Piloten 1948/49 über Berlin ab, weil sie um die beruhigende Wirkung aus Erfahrung wussten. Mit der jüngsten Entscheidung des Mars-Konzerns, das „Streifen- und Ministreifen-Kaugummisortiment“ vom deutschen Markt zu nehmen, geht daher auch ein Stück deutscher Geschichte zu Ende, die im Frankfurter Ostend ihren Anfang nahm.
Dort stand von 1925 an die erste deutsche „Wrigleys Pfefferminz Kaubonbons“-Fabrik. Sie hielt sich allerdings nicht lange. Damals fremdelten die Deutschen noch mit der Süßigkeit. Und freilich stand in der Mousonstraße auch kein Wolkenkratzer, der es mit dem ikonischen Wrigley Building in Chicago aus den Zwanzigerjahren aufnehmen konnte, das bis heute die Silhouette der Stadt bestimmt.
Wohl nur Coca-Cola prägte das amerikanische Lebensgefühl der Bundesrepublik ähnlich wie der Spearmint Gum und seine Verheißung auf die „große echte Frische“. Die Firma selbst führt das hiesige Desinteresse auf Corona zurück. Während man früher im Auto, vor einem Meeting oder dem ersten Date die Nervosität weggekaute, sei durch Homeoffice und Social Distancing der Ware ihr Anlass genommen worden.
Auch neue, gesunde Zutaten wie Vitamine, Probiotika und Fluorid zur Zahnpflege hätten zu keinen „neuen Begegnungspunkten“ mit den Kunden geführt. Was diesen bleibt, ist der Kaugummi als Dragee – wahrlich kein Ersatz für den kleinen Streifen mit der großen Geschichte.