Wolfgang Kohlhaase tot : Ein heller Schatten des Ideals
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Sah Filme lange vor dem Dreh: Wolfgang Kohlhaase Bild: Thomas Kierok/Laif
Er war wohl der wohl wichtigste Drehbuchautor der DDR: Ein Nachruf auf Wolfgang Kohlhaase, der am Mittwoch im Alter von 91 Jahren starb.
Wenn man das Wort „sawal“ in eine Suchmaschine eingibt, dann kommt man auf Eigen- und Firmennamen, aber auf die Bedeutung, die es in einer Erzählung von Wolfgang Kohlhaase hat, kommt man nicht. Dort heißt es nämlich „Leben“, verstanden wird es nur von zwei Menschen: einem niederländischen Physik-Studenten namens Straat in einem deutschen Lager 1944 und von einem Kapo, der sich von diesem jungen Mann Persisch beibringen lässt. Ein erfundenes Persisch, denn Straat hat von der Sprache keine Ahnung, er hat nur intuitiv eine Gelegenheit ergriffen, sich einem, der Macht über ihn hat, anzudienen, er hat eine Überlebenschance erfunden, die eigentlich vollkommen undenkbar ist. Es sei denn, jemand lässt sie sich einfallen, wie es mit der Erzählung „Die Erfindung einer Sprache“ eben der Fall war. Sie erschien 1977 in der DDR in einem Band unter dem Titel „Silvester mit Balzac“. 2019 wurde dann auch noch ein Film daraus: „Persischstunden“ von Vladimir Perelman.
Wolfgang Kohlhaase wusste viel vom Leben, weil er in einer Zeit jung war, die alles neu machte. Geboren wurde er 1931 in Berlin, er war 1945 also gerade im Begriff, sich auf die eigenen Füße zu stellen, und noch viele Jahre später staunte er über diesen Zusammenfall von „Pubertät und Weltgeschichte“. „Alles, was danach kam, bis zum heutigen Tag, kann ich nicht trennen von diesem Frühling 45.“ Generationenerfahrungen spielten dann auch in seinem Schaffen eine große Rolle. Er wurde zum vielleicht wichtigsten Drehbuchautor der DEFA, dem staatlichen Filmunternehmen der DDR.
Gemeinsam mit dem Regisseur Gerhard Klein war Kohlhaase verantwortlich für einige der wichtigsten Titel aus der frühen Phase des Arbeiter-und-Bauern-Staates: „Eine Berliner Romanze“ (1956) oder „Berlin – Ecke Schönhauser“ (1957). Man konnte dort ein Lebensgefühl finden, das mit der ideologischen Rhetorik des Regimes und der zunehmenden Einschränkung von Freiheiten nichts zu tun hatte. Kohlhaases Figuren hätten auch im italienischen Kino der Zeit einen Platz gehabt, abgesehen vielleicht von einem Idealismus, der wie ein heller Schatten der offiziellen Zukunftsparolen wirkte.
„Berlin um die Ecke“ (1965) fiel dann dem Kahlschlag auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED zum Opfer und konnte erst 1990 aufgeführt werden. Kohlhaase blieb aber auch in den Honecker-Jahren eine tragende Figur des DDR-Kinos, nun mit Konrad Wolf als dem neuen künstlerischen Partner. In „Ich war Neunzehn“ (1968) ging es noch einmal um den Schlüsselmoment 1945. Und in „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ (1974) kann man die grundsätzliche Differenz eines trotz allem sozialistischen Kinos von kommerzieller Unterhaltung im Westen so schön erkennen wie vielleicht nirgendwo sonst in einem DDR-Film. In „Solo Sunny“ verschob sich die Spannung zwischen Individuum und Allgemeinheit schon deutlicher ins Konflikthafte. Mit „Der Bruch“ (1990) von Frank Beyer schoben sich die Aufbruchserfahrungen von 1945 und die von 1989 ineinander.
Immer „ohne Trick“ gearbeitet
Wolfgang Kohlhaase hat von sich als Erzähler einmal gesagt, dass er immer „ohne Trick“ gearbeitet hat. Dramaturgische Rezepte oder psychologisch-manipulative Logiken für Spannungsaufbau brauchte er nicht. Er fand mit seiner gelassenen Selbstverständlichkeit und seinem Pragmatismus auch im wiedervereinigten Deutschland exzellente Möglichkeiten vor, sich weiterhin zu betätigen. Mit Andreas Dresen verband ihn nun eine wichtige Zusammenarbeit, die auch zu einem ehrgeizigen Projekt wie einer Verfilmung des großen Wende-Romans „Als wir träumten“ von Clemens Meyer führte oder zu dem Hit „Sommer vorm Balkon“ (2004), in dem man so etwas wie eine Suche nach den Spuren der Erfahrungen von „Berlin – Ecke Schönhauser“ sehen konnte. Wolfgang Kohlhaase war in den 30 Jahren nach 1989 gefragter denn je. Die Romanverfilmung „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (2016) von Matti Geschonneck zeugt davon, dass ihm auch literarische Autoren wie Eugen Ruge (um dessen Familiensaga es hier ging) zutrauten, ihrer Perspektive gerecht zu werden und gleichzeitig den erzählerischen Anforderungen des Kinos zu genügen.
Eine Autobiographie hat Wolfgang Kohlhaase leider nicht geschrieben. Das Buch „Um die Ecke in die Welt“ ist eher ein Sammelsurium, es muss – neben all den Filmen und Texten – reichen, um sich an ihn zu erinnern. Am Mittwoch ist Wolfgang Kohlhaase im Alter von 91 Jahren in Berlin gestorben.