
Wladimir Putin wird 60 : Zarengeburtstag
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Am Sonntag erreicht Wladimir Putin das offizielle Rentenalter - und gibt sich schon einmal großmütig und beschwört die Rolle der Kultur.
Russlands Alphatier Wladimir Putin wird weise. Da die Bürgerproteste gegen seine Rückkehr auf den Kremlthron abebben, gibt der Präsident sich jupiterhaft großmütig. Soeben überschüttete Putin den Schriftsteller Wladimir Woinowitsch, seinen prononcierten Kritiker, zu dessen achtzigstem Geburtstag mit Komplimenten. Woinowitsch habe ganze Epochen einander ablösen sehen, er sei dabei aber seiner hohen Berufung als Wortkünstler, seinen sittlichen Idealen sowie seiner staatsbürgerlichen Position stets treu geblieben, heißt es in Putins Glückwunschtelegramm an ihn.
Und das nur Tage nachdem der Jubilar in der Moskauer Zeitung „Moskowski komsomolez“ die Verdummung, Paranoia und Bigotterie in Russland unter Putin beklagt und dessen Deltaplanflug mit den jungen Kranichen verspottete. Zuvor hatte das Staatsoberhaupt die Autorin eines Putin herb entlarvenden Buches, Mascha Gessen, die, weil sie seinen Kranichflug journalistisch nicht begleiten wollte, den Chefredakteursposten des Journals „Um die Welt“ (Wokrug sweta) verlor, in den Kreml gebeten und zur Rückkehr eingeladen - was Frau Gessen allerdings ausschlug.
Jetzt, da er selbst das offizielle Rentenalter erreicht, beschwört der misstrauische Präsident, der nach dem Pussy-Riot-Prozess freier atmet, die konsolidierende Rolle der Kultur. Auf einer feierlichen Sitzung seines Kulturrats im reichvergoldeten Thronsaal des Kremls sprach Putin vom kulturellen Code der Gesellschaft, der ihr moralisches Rückgrat bilde und der sich permanent weiterentwickeln müsse, aber auch degenerieren könne, was dann höchst zerstörerische Folgen habe.
Das konnte jeder verstehen, wie er wollte. Filmregisseur Alexander Sokurow, ein Ratsmitglied, mochte an die Erhaltung der historischen Petersburger Innenstadt denken, Schriftsteller Alexej Warlamow, ein Zweites, an die Lese- und Sprachkompetenz bei Jugendlichen, Klostervorsteher Tichon, ein Drittes, an die Führungsrolle der orthodoxen Kirche und ihre strategische Allianz mit dem Islam, worauf die Elite zusehends baut.
Putin, der erst unlängst die Schulreform absegnete, die akademische Fächer auf Kosten von wehrsportlichen reduziert, beteuerte jetzt, er teile die Sorge vieler Künstler und Intellektueller angesichts verminderter Unterrichtsstunden in geisteswissenschaftlich musischen Fächern. Russlands mächtigster Mann fühlt sich möglicherweise auch deswegen so sehr zur Natur, zu Tigern, Bären und Störchen hingezogen, weil er an die von ihm regierten Menschen nicht mehr glaubt. Am kommenden Sonntag feiert Putin, der soeben das Höchstalter für seine Getreuen auf siebzig Jahre anhob, seinen sechzigsten Geburtstag.
