: Rodriks unmögliches Dreieck
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Dani Rodrik zählt seit Jahren zu den angesehensten und meistgelesenen Entwicklungsökonomen, auch wenn er sich anders als der Hauptstrom in der Ökonomik der vergangenen drei Jahrzehnte nicht der Ansicht angeschlossen hat, dass Globalisierung und Freihandel immer und automatisch vorteilhaft seien. ...
Dani Rodrik zählt seit Jahren zu den angesehensten und meistgelesenen Entwicklungsökonomen, auch wenn er sich anders als der Hauptstrom in der Ökonomik der vergangenen drei Jahrzehnte nicht der Ansicht angeschlossen hat, dass Globalisierung und Freihandel immer und automatisch vorteilhaft seien. Doch obgleich der gebürtige Türke und langjährige Harvard-Professor in einer Wissenschaft tätig ist, die gerne zwischen Freund und Feind unterscheidet, hat Rodrik stets auch in jenen Fachzeitschriften publizieren können, die den uneingeschränkt gläubigen Freihändlern nahestehen. Mit anderen Worten: Man muss Rodrik nicht immer zustimmen, aber man sollte ihn ernst nehmen.
In seinem neuen Buch will der Ökonom die Unvereinbarkeit von Nationalstaat, Demokratie und grenzenloser Globalisierung ("Hyperglobalisierung") demonstrieren. Am Anfang trifft er zwei grundsätzliche Feststellungen, die er der deutschen Geistesgeschichte entnommen haben könnte. Erstens: Markt und Staat sind keine Antipoden, sondern gehören zusammen. Funktionsfähige Märkte brauchen einen starken Staat. (Soweit sich der Staat auf das Setzen und Garantieren eines Ordnungsrahmens beschränkt, müsste ein deutscher Ordoliberaler im Geiste Walter Euckens diese These bejahen.)
Zweitens: Es gibt nicht den Kapitalismus, sondern eine Vielzahl von Ausprägungen, die auf unterschiedliche nationale, kulturelle, historische oder gesellschaftliche Traditionen und Gebräuche zurückzuführen sind. Daher wirken Markt und Staat je nach Land oder Region auf unterschiedliche Art und Weise zusammen. (Das hatte die deutsche Historische Schule der Ökonomik schon vor 100 Jahren konstatiert.)
Nun kommt Rodriks Problem: Wir haben globale Märkte, die, um auf Dauer ordentlich zu funktionieren, seines Erachtens eines globalen staatlichen Regelwerks bedürfen. Wir haben aber keine Weltregierung, weil die meisten Menschen nicht bereit sein dürften, die dafür notwendigen Kompetenzen vom demokratischen Nationalstaat zu übertragen. Eine Übertragung solcher Kompetenzen durch eine nationale Regierung gegen den Willen ihrer Bürger verstieße ihrerseits gegen die Demokratie.
Rodrik folgert: "Ich nenne dies das fundamentale politische Trilemma der Weltwirtschaft: Wir können nicht gleichzeitig Demokratie, nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung betreiben. Wenn wir die Globalisierung weiterführen wollen, müssen wir entweder den Nationalstaat oder demokratische Politik aufgeben. Wenn wir die Demokratie behalten und vertiefen wollen, müssen wir zwischen dem Nationalstaat und internationaler wirtschaftlicher Integration wählen. Und wenn wir den Nationalstaat und Selbstbestimmung bewahren wollen, müssen wir zwischen einer Vertiefung der Demokratie und einer Vertiefung der Globalisierung wählen."
Rodrik macht klar, wo seine Präferenzen liegen. Er will die Demokratie und die nationale Selbstbestimmung bewahren und ist hierfür bereit, etwas Sand in das Getriebe der Globalisierung zu streuen: "Demokratien haben das Recht, ihre sozialen Regeln zu verteidigen, und wenn dieses Recht mit den Anforderungen einer globalen Wirtschaft konfligiert, sollte die Globalisierung das Nachsehen haben."
Wie begründet der Ökonom Rodrik seine Position? An den Anfang stellt er mit David Ricardos Theorie der komparativen Kosten eine Art "Magna Charta" der Theorie des Freihandels. Ricardo hatte mit einem simplen Beispiel, in dem England und Portugal Wein und Tuch handeln, gezeigt, dass Freihandel für beide Länder grundsätzlich vorteilhaft ist. Fundamentale Globalisierungsgegner werden an Rodrik wenig Freude haben, denn er hält diese Theorie nicht für falsch: "Das ist ein kraftvolles Argument, das Globalisierungskritiker häufig nicht genug durchdenken." Ebenso weist er als "merkantilistischen Fehlschluss" das nachfolgende bekannte Zitat Abraham Lincolns zurück, das viele Nichtökonomen plausibel finden, das einem Ökonomen aber die Haare zu Berge steigen lässt: "Ich weiß nicht viel über den Zolltarif, aber so viel weiß ich: Wenn wir im Ausland Fertigwaren kaufen, bekommen wir die Waren und die Ausländer das Geld. Wenn wir im Inland Fertigwaren kaufen, bekommen wir sowohl die Waren als auch das Geld."