Rezension: Sachbuch : Die Zukunft liegt auf dem Wasser
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Eine Unternehmensgeschichte der Hapag-Lloyd
Klaus und Susanne Wiborg: Unser Feld ist die Welt. 150 Jahre Hapag-Lloyd. Hamburger-Abendblatt-Verlag, Hamburg 1997, 435 Seiten, 49,50 DM.
Ein Stapellauf war vor dem Ersten Weltkrieg ein nationales Ereignis, zu dem sich allerhöchste Persönlichkeiten einstellten. Bei besonderen Anlässen begab sich Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich an den festlichen Ort. Der letzte regierende Hohenzoller liebte das Meer. Seine kernigen Aussprüche ("Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser") wurden geflügelte Worte. Vor dem Ersten Weltkrieg, "diesem dümmsten Krieg, den die Weltgeschichte je gesehen hat", wie der langjährige Hapag-Chef Albert Ballin einmal verbittert notierte, war daher auch die große Zeit der deutschen Reedereien. Sie besaßen die meisten Schiffe und ließen die größten, schnellsten, aufwendigsten bauen.
Die lesenswerte Unternehmensgeschichte von Klaus und Susanne Wiborg beginnt mit dem Stapellauf des Hapag-Luxusliners "Imperator" 1912. Dabei fängt sie auch die Vorkriegsstimmung ein, eine Mischung aus Aggressionen, grenzenlosem Optimismus und einem zur Schau gestellten Stolz auf das Erreichte. Die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz Hapag genannt, war zu diesem Zeitpunkt schon 65 Jahre alt. 1847 war sie gegründet worden; 1867 war die Geburtsstunde des Norddeutschen Lloyd in Bremen. Beide fusionierten 1970 zur Hapag-Lloyd AG. In zwei Weltkriegen haben sie alles verloren, doch die Verbindungen waren geblieben. Immer wieder gelang der Aufbau.
Ausgangspunkt war Mitte des vorigen Jahrhunderts der sprunghaft gestiegene Güterverkehr zwischen Alter und Neuer Welt. Schon bald öffnete sich jedoch ein neues Tätigkeitsfeld: der unablässig anschwellende Strom der Auswanderer. Schiffe waren bisher der Ladung wegen gefahren. Die Beförderung von Passagieren hatten die Reeder mehr als notwendiges Übel hingenommen. Doch jetzt wurde sie zum großen Geschäft. Um die Jahrhundertwende entdeckten die Reeder dann ein weiteres lukratives Feld: die Kreuzfahrt. Albert Ballin war es, der gegen den Rat seiner Kollegen erstmals Schiffe einsetzte, die Passagiere allein zum Vergnügen beförderten.
Das alles wird spannend und anschaulich beschrieben, mit vielen informativen Einschüben zur Technik und zur Entwicklung des Seeverkehrs. Die Geschichte beider Reedereien wird miteinander verknüpft: ihre gemeinsamen Sorgen, ihre Rivalitäten und die bis zuletzt hartnäckig gehegten Ressentiments. Kritisch wird die Zeit des Nationalsozialismus durchleuchtet. Die Führung beider Gesellschaften, das wird deutlich, lag stramm auf nationalsozialistischem Kurs. Der starke Einfluß des jüdischen Kapitals oder demokratischer Kräfte war gleich anfangs ausgeschaltet worden. Die Vorbehalte von Seeleuten und Schiffsoffizieren gegenüber der "Bewegung" waren jedoch so stark, daß sich Parteigremien gelegentlich zur Beschwerde bei der Geschäftsführung veranlaßt sahen.
Auch der berüchtigte Chef der Gestapo, Reinhard Heydrich, spürte diese Antipathie ganz deutlich, als er sich 1937 auf dem Hapag-Dampfer "Milwaukee" aufhielt. Daß es auf den Schiffen genügend Männer mit Zivilcourage gab, bewies noch im Mai 1939 Kapitän Gustav Schröder von der "St. Louis". Buchstäblich im letzten Moment konnte er für seine Passagiere, etwa 1000 jüdische Emigranten, eine Landegenehmigung in Antwerpen erwirken, nachdem sie in der Heimat schon von der Gestapo erwartet wurden. Ihre fünfwöchige Irrfahrt von Europa nach Kuba und wieder zurück hatte so noch einen erträglichen Abschluß gefunden.
Je näher sich die Darstellung der unmittelbaren Gegenwart nähert, desto mehr mußten sich die Autoren offenbar mit dem Unternehmen abstimmen. Die Banken als Großaktionäre hatten bei der Schiffahrtskrise Anfang der achtziger Jahre tatkräftig an der Sanierung Hapag-Lloyds mitgewirkt. Das ist ihnen hoch anzurechnen, zumal sie dabei erhebliche Opfer leisten mußten. Damals beschlossen sie, sich von Teilen ihres Aktienpaketes zu trennen. Doch warum wurden die Pakete wiederum an Großaktionäre abgegeben? Warum scheute man den Börsengang, für den die Banken in der Öffentlichkeit unaufhörlich warben, um Aktienbesitz möglichst breit zu streuen? Vielleicht hätte eine Publikumsgesellschaft Hapag-Lloyd heute größere Chancen, die Selbständigkeit zu wahren. Nun muß sie fürchten, nach 150 Jahren ihre Selbständigkeit zu verlieren und im Schoß des Mischkonzerns Preussag zu landen, der von Hannover aus geführt wird. AXEL SCHNORBUS