Neue Kulturrevolution : Die Mandarine von Oxford
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Am Radcliff Square im Zentrum von Oxford Bild: Getty
Britische Universitäten sind immer stärker von Studenten und Forschungsgeldern aus China abhängig. Ein Reisebericht von Hugh Trevor-Roper aus dem Jahr 1965 wirft ein Schlaglicht auf die gegenwärtige Situation.
Bis vor kurzem wäre man versucht gewesen, „The China Journals“, das jüngste Buch aus dem reichhaltigen Nachlass Hugh Trevor-Ropers, als ebenso amüsante wie aufschlussreiche Marginalie für Sinologen, Sinophile und Anhänger der pointierten Prosa des Oxforder Historikers zu bezeichnen. Durch die Ereignisse der letzten Monate hat das Tagebuch einer kurz vor der Kulturrevolution unternommenen China-Reise und seiner Nachwehen jedoch eine aktuelle Relevanz bekommen. Diese war im Februar, als das Buch herauskam, noch nicht so evident wie jetzt, seitdem die Corona-Epidemie den Blick auf China schärft.
Tägliche Nachrichten über den Streit um die Beteiligung des Telekommunikationsausrüsters Huawei am Ausbau des 5G-Netzes, die neuerliche Zuspitzung der Hongkong-Krise und die Verfolgung der muslimischen Uiguren haben das Unbehagen über die schleichende chinesische Einflussnahme auf Politik, Wirtschaft und Kultur verstärkt. Das gilt besonders für das britische Hochschulwesen, das zunehmend auf chinesische Forschungsgelder und Einnahmen aus den Gebühren chinesischer Studenten angewiesen ist. Bislang bildeten die rund 120.000 Chinesen das bei weitem größte Kontingent unter den knapp 500.000 ausländischen Studenten im Vereinigten Königreich. Diese Abhängigkeit hat die Sorge über die Soft-Power-Politik Pekings verstärkt, die Trevor-Roper bereits im Herbst 1965 zu spüren bekam, als er auf Einladung der nur wenige Monate zuvor von dem angesehenen Biochemiker und Sinologen Joseph Needham mitgegründeten Society for Anglo-Chinese Friendship (SACU) nach China reiste.
Sklaven der Propaganda
Um der Gesellschaft Glaubwürdigkeit zu verleihen, hatte Needham zur Mitgliederwerbung einen Förderkreis von zweihundert namhaften Personen aus verschiedenen Bereichen und unterschiedlicher politischer Ausrichtung eingesetzt, die mehr über China erfahren wollten oder geneigt waren, mit den Idealen der Volksrepublik zu sympathisieren. Die Liste umfasste Rektoren der Colleges von Oxford und Cambridge, Geistliche, Naturwissenschaftler, Künstler wie den Komponisten Benjamin Britten und die Bildhauerin Barbara Hepworth und eben Trevor-Roper.
Ihm war klar, wie er später bekannte, dass jede Organisation, die englisch-chinesisches Verständnis anstrebte, zwangsläufig viele Mitglieder zählen würde, die sich eher dem politischen System als dem Verstehen verbunden fühlten. Das Interesse an China und die enorme Hochachtung für Needhams akademische Leistung als Autor der monumentalen Wissenschaftsgeschichte Chinas überwogen jedoch seine Bedenken – allerdings nicht lange. Kaum dass er in Peking ankommt, beginnt Trevor-Roper seinem Tagebuch seinen Unmut über die selbstgefällig-banausenhaften Reiseführer anzuvertrauen, die Sklaven der Propaganda seien und „nichts, absolut nichts“ von der chinesischen Geschichte vor 1949 wüssten. Das kann ein Historiker, der die Gegenwart auch durch die Vergangenheit zu verstehen sucht, nicht nachvollziehen. Er fragt sich, wie es zu dieser „Umwertung aller Werte“ kommen konnte in einer derart fröhlichen, verfeinerten, selbstkritischen Gesellschaft.
Ätzender Spott
Trevor-Roper verdrießen die „unerbittlich langweiligen“ Funktionäre und das rigide, „nervtötend langweilige“ Programm, das ihn in einer Gruppe von „minderwertigen Trotteln“ gefangen halte. Dabei hatte man den Gästen in London versichert, dass man in Peking ein unabhängiges Programm für sie gestalten werde. Sie brauchten ihre Wünsche bloß auszusprechen. Nichts davon stimmte. Die in Aussicht gestellten Begegnungen mit geistreichen Menschen kamen nicht zustande. Keiner der Chinesen, die er trifft, könne es wagen, unabhängig zu denken, bemängelt Trevor-Roper. Er bezweifelt allerdings nicht, dass es Chinesen gebe, die kritisch dächten, „wir dürfen sie bloß ebenso wenig sehen oder von ihnen wissen, wie sie von uns wissen dürfen“.