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Merkels Rede in Harvard : Festgemauert in den Phrasen

  • -Aktualisiert am

Bundeskanzlerin Angela Merkel in Harvard Bild: Reuters

Überall läuten die Glocken: Was ist eine Bundeskanzlerin, und zu welchem Ende lauscht man ihr? Wir haben Angela Merkel in Harvard zugehört – und waren nicht begeistert.

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          Just an dem Dezember-Wochenende, an dem Angela Merkel sich selbst zur lame duck machen und als Parteivorsitzende nicht wiederwählen ließ, kam von der Harvard University die Auskunft, dass man von ihr die Commencement Speech 2019, die Hauptrede auf der Graduierten-Abschlussfeier, haben wolle. Das Zusammentreffen war sicherlich Zufall; viele bedeutende Politiker heimsen ihre Ehrungen erst gegen Ende ihrer Amtszeit ein. Die Homepages der Universität gingen seither gewaltig aus dem Leim vor lauter Lobreden auf die Bundeskanzlerin. Man kennt, spätestens nach Trumps Wahl, die Zuschreibungen: Führerin Europas, wenn nicht gleich der ganzen freien Welt. Nun kann man einen Ehrengast vorher nicht mit Dreck bewerfen; und man weiß, dass die Amerikaner gerne mal übertreiben. Aber ein paar Nummern kleiner hätten es auch getan.

          Edo Reents
          Redakteur im Feuilleton.

          An diesem Himmelfahrtstag beging man die 368. Abschlussfeier; die Liste der Vorredner ist extrem lang, darunter drei Bundeskanzler (Adenauer, Schmidt, Kohl) und ein Bundespräsident (von Weizsäcker). Sie werden unterschiedlichen rhetorischen Glanz verbreitet haben, genauso wie die Einheimischen, die hier auch schon sprachen, unter anderen Steven Spielberg, Oprah Winfrey, J.K. Rowling und Mark Zuckerberg. Letztere werden mit Ausdrücken wie inspiration, dreams oder make the world a better place geschickter zu jonglieren gewusst haben als jeder deutsche Regierungschef, als der amtierende zumal. Und es passt eben, dass in der Heimat ein unlängst wieder ergangener alternativer Nationalhymnenvorschlag wie Brechts „Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand“ wieder im Keim erstickt wurde und man lieber bei der Hausmannskost des Deutschlandliedes bleibt. Anmut nimmt man den Deutschen nicht ab, es gibt gravierendere Makel.

          Was es mit der Anmut auf sich hat, zu welch kraftvoller und berührender Entfaltung man sie bringen kann, wenn man sich nur Mühe gibt, das war den ganzen Vormittag auf dem dicht bestuhlten Areal zwischen Harvards Widener Library und der Memorial Church, vor der die Sache über die Bühne ging, zu erleben. Man hörte, je länger, desto beeindruckter, den tiefsinnigen Gedanken eines Geistlichen über Fragen des „besseren Selbst“ zu. Dann vor allem den drei Studenten, die man mit ihrem vielleicht einen Tick zu dick auftragenden Pathos zunächst für Fernsehprediger hätte halten können, bis man das Gefühl bekam, dass sie sich mit ihren persönlich beglaubigten Reden am Ende unfreiwillig selbst ehrten, so gut machten sie das: zunächst der famose Inder, der auch noch Gandhi hieß (Vorname Kabir) und fehlerfreies, fließendes Latein frei vortrug, an dem sich sogar noch Papst Benedikt ein Beispiel nehmen könnte. Humoristisch übertrieb er seine bedächtige, glasklare Sprechweise und seine weit ausholenden Armgesten, man kam aus dem Lachen bald nicht mehr heraus über diesen anmutigen jungen Mann, der von „Kikero“ (Cicero) und Harvard als dem „locus amoenus“ charmant schwadronierte und schließlich noch vor Angela Merkel, die in ihrem Talar in der ersten Reihe auf dem Podium saß und auf ihren Ehrendoktor der Rechte wartete, einen Extra-Bückling machte und sogar seinen Hut lüftete.

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