Werbeindustrie : Die Freiheit nehm' ich mir
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Screenshot von der Internetseite von Jung von Matt Bild: FAZ.NET
Werber - das war doch mal ein Traumjob. Heute mangelt es den Agenturen an Nachwuchs, und die Branche ist gezwungen, Werbung für die Werbung zu machen.
Die Handkamera wackelt am Gesicht des Juniortexters mit dem wirren Haar entlang, während der erzählt, wie prima er seinen Job findet. Die Beleuchtung wie zufällig, der Ton weit weg, scharf nur der Hintergrund. Dazu schweben lustig gezeichnete Monster und Herzchen durchs Bild. Authentizität, oder was halt so ähnlich aussieht, ist alles in den sechs Werbespots für die Werbung, welche auf der Homepage von Jung von Matt zu sehen sind - jener Werbeagentur, die als kreativste Deutschlands gelten möchte, und das vielleicht sogar ist. Jedenfalls wenn man Kreativität in gewonnenen Löwen beim Werbefilmfestival in Cannes misst. Die Botschaft an den potentiellen Nachwuchs da draußen ist: Wir sind die Besten. Unsere Arbeit ist unsere Droge. Aber wir sind auch extrem lässig, supernett und eher so etwas wie eine große Clique. Ausgebeutet wird bei uns keiner. Und das ist keine Werbelüge.
Werbung ist von gestern
So verkaufen sich also die „Mad Men“ von heute? Werbekampagnen sagen oft weniger über das Produkt als über das Problem ihrer Auftraggeber: Der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft zählte im ersten Halbjahr 2011 fast zweitausend vakante Stellen allein in den Agenturen und mahnt die Branche, dass sie attraktiver werden müsse. Es komme der demographische Wandel und damit ein härterer Wettbewerb um Talente. Einen Wettbewerb um die beste Imagekampagne für die Werbeindustrie hat im Sommer schon das Fachblatt „Werben und Verkaufen“ ausgeschrieben. Denn ein Problem der Werbeleute ist der schlechte Ruf der Branche. Das Schreckbild ist die Ausbeuteragentur: schlechte Bezahlung, schlechte Aufstiegschancen, Stress und Überstunden ohne Ende, ausgebrannte Angestellte. Es gibt ein zweites Imageproblem: Werbung ist von gestern.
Dabei hatten Werbung und Werber eigentlich immer einen schlechten Ruf - aber auch ein glamouröses Image. In den Fünfzigern misstraute das Publikum den Psycho-Manipulatoren, die angeblich ihre Botschaften ins Unbewusste der Menschen schraubten. Ein Jahrzehnt später konnte der Agenturgründer David Ogilvy in seinen „Bekenntnissen eines Werbemannes“ schon den ganze Katalog der Schmähungen zitieren: Werbung sei verlogen, unmoralisch, langweilig, lästig und hässlich, sie fördere unsinnigen Konsum und Unzufriedenheit. Das von Ogilvy gezeichnete Bild einer Werbeagentur ist ungefähr das, was heute die amerikanische Fernsehserie „Mad Men“ zeigt. Nur ohne Sex und Whisky.
Seit drei Jahren geht es aufwärts
In den achtziger Jahren war das Klischee vom reichen, koksenden Werber populär, und unter Intellektuellen wurde die Frage diskutiert, ob Werbung Kunst sei, und wenn ja: warum eigentlich? In den Neunzigern gab es noch Kampagnen, die weltweit Aufsehen erregten. Oliviero Toscanis Benetton-Werbung zum Beispiel. Seitdem ist viel Zeit vergangen.
Fragt man heute deutsche Agenturleiter, Freelancer und Ehemalige, wie das so sei, mit den Images und der Wirklichkeit in der Werbewirtschaft, erzählen sie die folgende Geschichte: dass vor zwanzig, dreißig Jahren die Agenturen sehr gut verdienten, tatsächlich Leute verheizten und wilde Partys feierten. Bis zum Platzen der Dotcom-Blase etwa. Dass danach mehr gearbeitet und nicht mehr ganz so heftig gefeiert worden sei und - weil Unternehmen stärker auf Sicherheit bedacht waren - auch die langweiligeren Kampagnen produziert wurden. Seit drei Jahren gehe es aber wieder aufwärts.
In einer Werbeagentur in Berlin Mitte gibt es Graffiti an den Wänden und eine Bar im Eingangsbereich. Angeboten wird einem aber ein stilles Wasser, bevor es an den Konferenztisch aus Metall geht. Zumindest in der Berliner Niederlassung von Saatchi & Saatchi Deutschland. Nachwuchssorgen haben sie nicht, sagen Geschäftsführer Géza Unbehagen und Kreativchef Oliver Kapusta, in weniger bekannten Agenturen an weniger attraktiven Standorten sehe das wohl anders aus: „Aber auch wir stellen fest, dass Werbung insgesamt nicht mehr so sexy ist, wie sie es einmal war“, schränkt Kapusta ein. „Richtig angesagt sind heute andere Sparten: Alles, was mit der digitalen Revolution zusammenhängt.“