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Wellenreiter : Woody, der Unglücksrabe

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WELLENREITER - durch die Informationsflut mit FAZ.NET

WELLENREITER - durch die Informationsflut mit FAZ.NET Bild: FAZ.NET

Weil ihr zwei Buchstaben fehlten, zog es die „Frankfurter Rundschau“ vor, an einem Tag gar nicht zu erscheinen: Aus dem Wort „unabhängig“ auf der Titelseite war ein „abhängig“ geworden. Schuld soll Woody Allen sein.

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          Wieviele Buchstaben enthält eine Tageszeitung? Wer das schon immer mal wissen wollte, dem liefert am heutigen Mittwoch die „Frankfurter Rundschau“ die Antwort: Eine Ausgabe bietet Platz für 500.000 Buchstaben (wir nehmen an, daß diese Zahl gerundet ist).

          Warum die Zeitung das ihren Lesern meint mitteilen zu müssen, hat seinen Grund: In der Ausgabe vom Dienstag nämlich fehlten zwei Buchstaben. Und diese beiden waren so entscheidend, daß die „FR“ beschloß, ihren Lesern auch die restlichen 499.998 Buchstaben vorzuenthalten. 61.450 Exemplare der Zeitung, die den Fehler enthielten, wurden nicht ausgeliefert, einzig die später gedruckten, korrigierten Regionalausgaben für Hessen und die angrenzenden Gebiete gelangten zu ihren Lesern.

          Das fehlende „UN“

          Was aber waren das für zwei Buchstaben, die der „FR“ unersetzlicher schienen als ihre gesamte Zeitung? Es waren ein „U“ und ein „N“ in Versalien, die zusammen eine enorme Bedeutung entfalten. Prominent plaziert im Zeitungskopf, attestieren sie der „FR“ nämlich Tag für Tag, eine „UNABHÄNGIGE TAGESZEITUNG“ zu sein. Was ohne das „U“ und das „N“ übrigblieb, war das genaue Gegenteil, trifft nach Meinung mancher aber viel eher auf die „Rundschau“ zu, seitdem diese zu neunzig Prozent der Medienholding der SPD angehört. Als „ABHÄNGIGE TAGESZEITUNG“ aber wollte die „FR“ auf keinen Fall unters Volk gebracht werden.

          Die Konkurrenz der „FR“ reagiert dann auch nicht mit Mitleid, sondern mit Spott. „Aufstand der Abhängigen“ titelt die „Welt“ und wittert einen Sabotageakt verärgerter „Rundschau“-Mitarbeiter, die abermals von einer umfangreichen Stellenstreichung betroffen sein werden; am besten, so die höhnische Empfehlung der „Welt“, die „Rundschau“ verzichte künftig ganz auf das Attribut, schließlich sei sie „die einzige bundesweite Zeitung, die diese Zeile noch in ihrem Titel führt“. Da hat die „Welt“ aber ihr Schwesternblatt „Bild“ vergessen, die sich nicht nur Unabhängigkeit, sondern auch noch „Überparteilichkeit“ bescheinigt. Ob man das in jedem Fall glaubt, ist eine andere Frage.

          Viele Sabotagemittel

          Der „Frankfurter Rundschau“ jedenfalls glauben die Kollegen kein Wort, wenn sie am Tag nach dem UN-Ausfall ihren Lesern erklärt, es habe sich um eine „technische Panne“ gehandelt. Die arme Technik pflegt ja immer schuld zu sein, wenn menschliche Blößen verdeckt werden sollen - oder eine Attacke unzufriedener Mitarbeiter. Jenen bietet die moderne Zeitungstechnik schließlich unzählige Möglichkeiten, ihren Unmut schnell und anonym auszudrücken. Wir erinnern uns an den Tag, an dem im Impressum der „B.Z.“ eine Lücke klaffte, wo sonst der Name des ungeliebten Chefredakteurs stand. Oder daran, wie der „Tagesspiegel“ seinen Lesern stolz mitteilen wollte, einige „namhafte“ Autoren verpflichtet zu haben, in der Zeitung aber unerklärlicherweise das Wort „nehmhaft“ erschien.

          Der Erklärung allerdings, die die „Frankfurter Rundschau“ in ihrer Mittwochsausgabe und noch ausführlicher im Internet abliefert, möchte man beinahe glauben. Und wenn nicht das, so muß man ihr doch zumindest attestieren, äußerst liebevoll ausgedacht zu sein. „Woody war's“, schreibt die „FR“ und meint ein Komplott von Woody Allen mit dem Redaktionssystem Hermes. Dieses System arbeite mit sogenannten „Cartons“ voller Texten, Bilder und Grafiken, die wie Spielkarten übereinandergelegt würden. Am Dienstag hat die „Rundschau“ dann die falsche Karte gespielt: Die Karte mit dem „unabhängig“ sei unter eine andere geraten, die ein Foto des Klarinette spielenden Woody Allen zeigte. Dessen Kopf habe das besagte „UN“ zunächst verdrängt und dann, als das Woody-Bild nach links gerückt wurde, mit sich gerissen.

          Das mag nicht nur derjenige glauben, der kurz zuvor Woody Allens wahrhaft mitreißendes Konzert in Berlin erlebt hat, sondern auch alle, deren Humorverständnis an seinen Filmen geschult wurde. „Wirklich innovativ ist man nur dann, wenn mal etwas danebengegangen ist“: Dieser Satz Woody Allens könnte der „Rundschau“ als Trost dienen. Dort wird man im übrigen auch heilfroh sein, daß Woody der Unglücksrabe war und nicht etwa ein anderer: Was hätte man erst für Spott erdulden müssen, wäre das Unheil mit einem Müntefering-Bild passiert?

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