Fernsehdokumentation „Fordlandia“ : Was sucht der Mainzer Stadtschreiber am Amazonas?
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Von Mainz in die Welt: Peter Stamm (Mitte) und sein Fernsehteam am Amazonas Bild: Thomas Hocke
Der Schriftsteller als Fernsehreporter: Peter Stamm erkundet als Mainzer Stadtschreiber mit dem ZDF ein altes brasilianisches Dschungelcamp. Und was hat das nochmal mit Mainz zu tun?
Selbstverständlich ist das ein reizendes Thema für einen Dokumentarfilm: eine Arbeitersiedlung, mitten in den Amazonas-Regenwald geklotzt von Henry Ford im Jahre 1927, um dort Kautschuk für Autoreifen zu produzieren, eine amerikanische Modellstadt im brasilianischen Dschungel, in der zeitweilig fünftausend Menschen lebten und die plötzlich wieder verlassen war, weil die Kautschukproduktion woanders stattfand. Wie sieht Fordlandia heute aus, wer lebt dort und wie?

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So interessant das alles ist, drängt sich aber noch eine Frage auf: Wieso ist diese Reportage die Aufgabe des Stadtschreibers von Mainz, also eines Schriftstellers, der von dieser Stadt für seine Literatur ausgezeichnet wurde und sie im Gegenzug auch ein Jahr lang mit dieser Literatur bereichern und womöglich neue Literatur schreiben soll, während er im Gutenberg-Museum kostenlos Wohnung nehmen darf? Warum also ist es der Schweizer Autor Peter Stamm, in Mainz 2013 geehrt für seinen „kunstvoll knapp und schmucklos gehaltenen“ Prosastil, der hier als Fernsehreporter über den Rio Tapajós tuckert?
Mit der Annahme des Mainzer Stadtschreiberpostens sei nur eine Auflage verbunden, sagt der Kulturreferent Friedrich Hofmann, nämlich jene, gemeinsam mit dem ZDF einen „Stadtschreiberfilm“ zu produzieren, „nach Möglichkeit mit Mainz-Bezug“. Die Stadtschreiber haben diesem Wunsch seit der Stiftung der Auszeichnung 1984 allerdings fast nie entsprochen: Katja Behrens reiste 1992 nach Jerusalem, Tilman Spengler 1999 auf den Balkan, Patrick Roth fuhr 2006 zum Klang von Hölderlin-Kassetten durch Hollywood, und Ingo Schulze zog es schon 2011 in den Regenwald, um nur einige Ziele zu nennen. In einem Film von Thomas Hocke, der 2009 auf 25 Jahre Mainzer Stadtschreiberfilme zurückblickte, heißt es über die geehrten Schriftsteller: „Stadtschreiber im wörtlichen Sinne waren sie alle nicht.“
Nun ist es mit der ortsgebundenen Chronistenpflicht von Literaturstipendien so eine Sache: Sie einzufordern würde dem Schriftsteller eine Zwangsjacke anlegen. Und es würde dazu führen, dass wir bald nur noch Romane über Sylt, Bergen-Enkheim, Baden-Baden und Mainz lesen müssten. Etwas anderes ist es mit der Residenzpflicht. Diese einzufordern traut man sich heute kaum noch, da Schriftsteller oft mehrere Stipendien gleichzeitig in Anspruch nehmen. Dass allerdings ein Stadtschreiber kaum anwesend ist, wie in Mainz in den vergangenen Jahren oft beklagt wurde, kann auch nicht so ganz Sinn der Sache sein. Immerhin gab es rühmliche Ausnahmen: Ilja Trojanow machte 2007 den „Römischen Kaiser“ (Gutenberg-Museum) sogar zu seinem Erstwohnsitz und auch Josef Haslinger, so berichtet Hofmann, sei 2010 erfreulich oft dagewesen.
Das Zwitterprodukt Stadtschreiberfilm war ursprünglich als „Trick“ gedacht, um Schriftsteller zum Medium Fernsehen zu verführen, die ihm skeptisch gegenüberstehen, wie der Mitbegründer der Mainzer Auszeichnung, Hans Joachim Schädlich, einmal sagte. Nicht immer hat das geklappt. Im Jahr 2001 lehnte Brigitte Kronauer die Auszeichnung sogar ab, weil sie sich nicht mit dem ZDF über das Format ihres Stadtschreiberfilms einigen konnte. Das in den Preisstatuten geforderte „Zusammenwirken von Literatur und Fernsehen“ ist mit der Zeit mehr und mehr in den Hintergrund getreten.
Peter Stamm nun hat zusammen mit der Historikerin Ursula Prutsch einen soliden Dokumentarfilm gemacht, der eigentlich mehr von den Problemen des Sojaanbaus handelt als von der Siedlung Fordlandia, und der sehr ausgewogen verschiedene Stimmen zu Wort kommen lässt, von Kleinbauern und Priestern bis zu Vertretern von Saatgutfirmen und Umweltorganisationen, um schließlich zu dem Fazit zu kommen: Es gibt keine einfachen Lösungen. Bezüge zu Stamms poetischem Schreiben oder zur Belletristik überhaupt weist dieser Film nicht auf.
Die „neuen Handschriften für das Fernsehen“, die sich vom Genre des Stadtschreiberfilms vor einigen Jahren noch ein ZDF-Programmkoordinator versprach, sind hier jedenfalls nicht zu sehen, eher wirkt es, wie schon bei vielen der jüngeren Vorgängerfilme, als übertünche die sattsam bekannte Handschrift des Dokumentarfernsehens die spezifisch literarische des Filmemachers. Das muss nicht bedeuten, dass die Idee schlecht war. Man sollte sie nur vielleicht ganz anders umsetzen.