Ausstellung mit Lars Eidinger : Von pinkelnden Bauern und glotzenden Reichen
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Der Inhalt des Briefs ist dem aufmerksamen Betrachter schon in etwa bekannt: „Der Liebesbote“ von Pieter de Hooch. Bild: bpk, Elke Walford
Hat Lars Eidinger seinen Blick an niederländischen Genrebildern geschult? Nach dem Besuch der Ausstellung „Klasse Gesellschaft“ in Hamburg könnte man es fast meinen.
Sowohl Spanien als auch die Niederlande erlebten ihr Goldenes Zeitalter im siebzehnten Jahrhundert. Doch während Spaniens künstlerische und literarische Glanzzeit mit seinem Niedergang als Weltmacht einherging, wurzelte die kulturelle Blüte seines Widersachers im wirtschaftlichen und politischen Aufstieg: Nachdem die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen die Herrschaft der spanischen Habsburger abgeschüttelt hatte, wurde sie zum bedeutendsten Handels- und Finanzplatz Europas. Ihr Goldenes Zeitalter entsprang dem wachsenden Wohlstand reicher Kaufmannsfamilien, die sich einen aufwendigen Lebensstil mit eleganten Einrichtungen, erlesenen Kleidern und reich gedeckten Tafeln leisten konnten. Die Bilder, die dieses stolze, repräsentationsbewusste Bürgertum in Auftrag gab, spiegelten seine Lebensweise und Werte, aber auch das, was in dessen Perspektive den Alltag der „niederen Stände“ ausmachte.
Zu einer Reise durch diese sinnliche, lebenspralle Bilderwelt, zu der kultivierte Gesten, schimmernder Schmuck und die exquisiten Tapisserien reicher Bürgerhäuser ebenso gehören wie grölende Bauern und der Schmutz verqualmter Schenken, lädt die Hamburger Kunsthalle ein. Die Ausstellung „Klasse Gesellschaft“ präsentiert rund 180 Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken von dreißig niederländischen Meistern des siebzehnten Jahrhunderts, unter ihnen Pieter de Hooch, Jan Steen, Adriaen van Ostade, David Teniers d. J. und Adriaen Brouwer. Der überwiegende Teil der oft exzellenten Werke stammt aus dem Bestand der Hamburger Kunsthalle, hinzu kommen achtzig Leihgaben.
Der versteckte Wunsch, einmal die Sau rauszulassen
Die Schau, kuratiert von Sandra Pisot, ist geschickt gegliedert durch thematisch und genrespezifisch bestimmte Räume, die sich der eleganten Gesellschaft, den Darstellungsweisen der Frau, den Derbheiten von Bauern, Mägden und Bettlern, den Pfeife rauchenden Kartenspielern in den Wirtshäusern und den verschlagenen Quacksalbern auf den Jahrmärkten widmen. Warum eigentlich hängten sich die reichen Kaufleute neben vornehmen Sujets auch ländliche Szenen mit pinkelnden Bauern und torkelnden Zechern an die Wand? Um sich darüber belustigen und moralisch erheben zu können, lautet die gängige Antwort der Kunsthistoriker. Doch vielleicht fand hier auch der versteckte Wunsch, selbst einmal die Sau rauszulassen, sein malerisches Ventil.
In einer eigenen thematische Abteilung sind die oft Wimmelbildern ähnelnden Winterstücke versammelt: Nicht nur Schlittschuhläufer sind hier zu sehen, sondern auch Bürger im Gehrock, die „Kolf“, spielen, eine Kreuzung aus Eishockey und Golf. Das Motiv schlingernder Eisläufer war beliebt: Es diente der Belustigung und warnte zugleich allegorisch vor dem Ausgleiten auf dem schlüpfrigen Lebensweg. Ein besonders interessanter Raum widmet sich dem Motiv des Schreibens, Empfangens und Lesens von Briefen. In den Niederlanden, die eine für damalige Verhältnisse hohe Alphabetisierungsrate aufwiesen, entwickelte sich – wie in Deutschland erst mehr als hundert Jahre später – das Briefschreiben zu einer kulturellen Mode, die ein eigenes künstlerisches Subgenre begründete.