Wenn alle nur noch streamen : Eine Welt voller Programmkinos
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George Clooney und Caoilinn Springall in einer Szene aus "The Midnight Sky.". Bild: AP
Laufen Blockbuster im Internet? Werden Filme immer kleiner - und dann billiger? Fragen eines streamenden Filmkritikers nach George Clooneys Film „The Midnight Sky“ auf Netflix.
Anfang der Woche kam Post von Netflix. Die Mail enthielt ein Bild, das einer Einladungskarte nachempfunden war und einen sehr rauschebärtigen George Clooney im Halbprofil als Schattenriss zeigte. Zusammen mit dem American Film Institute lud der Streamingdienst zur „Virtual Premiere“ des Films „The Midnight Sky“ für Mittwoch um 20 Uhr mitteleuropäischer Zeit und zum anschließenden Gespräch mit Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent, die praktischerweise alle George Clooney heißen. Gesprächspartnerin: Cate Blanchett.
Manchmal ist man sich bei Einladungen ja nicht sicher, wie sie denn nun gemeint sind: Handelt es sich um eine Parodie, ein Imitat, ist es retro oder schon der erste Schritt in eine neue Welt? Sollte es ein schwacher Trost in Zeiten sein, in denen in Deutschland kein einziges Kino geöffnet ist und in den Vereinigten Staaten knapp 35 Prozent der Filmtheater, in denen die Geschäfte miserabel laufen? Kurz nachdem von einer Entlassungswelle in Hollywood die Rede war und der Konzern Warner Media eine Ankündigung gemacht hatte, die das Branchenblatt „Variety“ wie ein Erdbeben empfand, weil es sie als „seismisch“ bezeichnete: Alle 17 Filme, die Warner 2021 herausbringen will, werden gleichzeitig in den Kinos und auf HBO Max laufen, darunter Blockbuster mit hohen Produktionskosten wie „Matrix 4“, „Dune“ oder „Godzilla vs. Kong“.
Eine Premiere auf Netflix oder ein Abend auf HBO Max, Disney+ oder Apple TV+ ist natürlich eine praktische Veranstaltung: keine Schlangen an der Kasse, keine schlechten Plätze, keine hässlichen Klingeltöne vom Nachbarn und das Geld für den Babysitter gespart. Ein bisschen befremdlich kommt es einem aber schon vor, dass man nun dauernd zu Hause sitzt, wenn Regisseure, deretwegen man sonst ins Kino geht, ihre neuesten Filme auf Netflix zeigen. Und zwar nicht pandemiebedingt.
Nach David Finchers „Mank“ kommt nun George Clooney, im Juni war schon Spike Lees „Da 5 Bloods“ bei Netflix, seit dem 10. Dezember ist Steven Soderberghs „Let Them All Talk“ auf dem Streamingdienst HBO Max zu sehen (der erst ab 2021 in Deutschland verfügbar sein wird). Das überrascht insofern weniger, da Soderbergh 2019 schon zwei Filme für Netflix gemacht hat, da er ohnehin seine Kinokarriere in den letzten Jahren mehrmals für beendet erklärt und angekündigt hatte, lieber andere Formate zu entwickeln. Allerdings hat ihn das nicht daran gehindert, hin und wieder doch noch mal einen Film zu machen, und sei es, wie „Unsane“, mit einem iPhone.
Was einem das jetzt sagen soll, vor allem aber: was das für die Zukunft des Kinos bedeutet, das sind derzeit die drängendsten Fragen eines streamenden Filmkritikers. Man muss nicht gleich, wie Hollywood das gerne tut, apokalyptische Szenarien entwerfen. Aber es ist auch nicht ganz so leicht, das berühmte Licht am Ende des Tunnels zu erkennen – es könnte auch, wie Billy Wilder mal gesagt hat, das Licht des entgegenkommenden Schnellzugs sein.
Ist Streaming ein Ersatz?
Nachdem schon der Kinosommer nicht stattgefunden hat und das Virus mit dem typischen Filmindustrie-Narzissmus, der alles auf sich bezieht, zum „Superschurken, mit dem Hollywood nicht gerechnet hatte“, ernannt worden war, soll nun, was im Frühsommer noch als „Sündenfall“ galt, gängige Praxis werden: dass fürs Kino produzierte Filme im Stream laufen. Disney machte mit „Mulan“ den Anfang und ließ seine Abonnenten auf Disney+ 30 Dollar zusätzlich zahlen – was immer noch billiger ist, als wenn eine vierköpfige Familie in ein Multiplex geht und dabei Popcorn und Softdrinks konsumiert. Nur die Bond-Produzenten von MGM blieben hart, obwohl Apple und Netflix mehr als 600 Millionen Dollar für die Streamingrechte geboten haben sollen. „Keine Zeit zu sterben“ soll Ende März ausschließlich in Kinos gezeigt werden.