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Wahlkampf in den sozialen Netzen : Der Augenblick zählt

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Hauptsache nichts Falsches mehr sagen: Mitt Romney in Michigan

Hauptsache nichts Falsches mehr sagen: Mitt Romney in Michigan Bild: REUTERS

Jeder amerikanische Wahlkampf ist ein weiterer Schub für Medien. Dieses Mal kann man beobachten, was passiert, wenn die Berichterstattung der Logik der sozialen Netze folgt.

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          Der Sieger der Präsidentenwahlen, da sind sich Medienbeobachter so gut wie sicher, steht schon fest: Es ist der Kurznachrichtendienst Twitter. Nicht schon wieder, möchte man sagen, Twitter ist doch ein alter Hut! Und erinnert Journalisten stetig daran, dass sie die Relevanz nicht gepachtet haben - in den vergangenen Tagen haben die deutschen Twitteraner sogar so viel Lärm gemacht, dass etablierte Medien über den Protest von zwanzig Flüchtlingen am Brandenburger Tor berichten haben.

          Während man hierzulande die Wechselwirkung zwischen sozialen Netzwerken und großen Medien im Einzelfall studieren kann, ist man in den Vereinigten Staaten eine Stufe weiter. Der Wahlkampf hat stets gutes Anschauungsmaterial für den Stand der medialen Entwicklung geliefert. Im Jahr 2008 hatte das Webmagazin „Politico“ dafür gesorgt, dass Blogs ein ernstzunehmender Mitspieler in der politischen Berichterstattung wurden. Dieser Tage kann man nicht nur beobachten, wie sich die Berichterstattung beschleunigt hat, sondern, was passiert, wenn sie zu „sozial“ wird - wenn sich die Nachrichten der Logik der sozialen Netze anpassen.

          Geschichten in Echtzeit

          Ein Beispiel: Als der Wahlkampf in die entscheidende Phase ging, versuchte sich Mitt Romney an einem Witz. Er tourte durch seinen Geburtsstaat Michigan. In Anspielung auf eine alte Kampagne gegen Obama scherzte Romney: „Komisch, dass mich bisher noch niemand nach meiner Geburtsurkunde gefragt hat.“ Das war am 24.August um 12.23 Uhr. Sechzig Sekunden später twitterte ein Reporter der „Washington Post“ das Zitat, ein paar hundert Menschen leiteten es weiter. Um 12.27 Uhr stellte „Politico“ den ersten Text online, eine Minute später hatte die Seite „Buzzfeed“ die Szene als Youtube-Video hochgeladen. Um 12.36 Uhr berichtete der Fernsehsender MSNBC. Um 12.41 Uhr, nicht einmal zwanzig Minuten nach Romneys Äußerung, stellte dessen Presseabteilung klar: Natürlich glaube Romney, dass Obama in den Vereinigten Staaten geboren sei, Romney wolle nur seiner Heimat Michigan Tribut zollen. Das Obama-Team reagierte sofort: Romney reihe sich damit rechts- außen in seiner Partei ein. In den nächsten sechs Stunden wurde der Vorfall zwölfmal auf CNN erwähnt, dreimal auf Fox News.

          „Politico“ sprach danach vom „21-Minuten-Nachrichtenzyklus“. Vor vier Jahren hat ein solcher Kreislauf noch einen Tag gedauert. Twitter ist deshalb aus dem Alltag politischer Reporter nicht mehr wegzudenken. Zwar nutzen nur dreizehn Prozent der Amerikaner den Dienst. Doch die erzeugen stetig scheinbare Relevanz: 10,3 Millionen Tweets versendeten sie während der ersten Präsidentschaftsdebatte im Fernsehen. Der Höchstwert lag bei 160000 Tweets pro Minute. Kommentare und Stimmungen - bei Twitter entwickeln sich Geschichten in Echtzeit. Nur: Was sind das für Geschichten? Wie lange halten sie sich?

          Am Anfang war die Katze

          Von Romneys Geburtsurkunde wollte schon am selben Abend niemand mehr etwas wissen. Ähnlich war es mit dem Sesamstraßenvogel „Big Bird“, den Romney in der ersten Debatte erwähnte, mit den „Pferden und Bajonetten“, mit denen Obama auf einen schiefen historischen Vergleich Romneys reagierte, oder auch dem „not optimal“, das Obama herausrutschte, als er den Tod von vier Amerikanern bei dem Anschlag in Benghasi kommentierte. Es sind diese schiefen Momente, in denen Twitter explodiert - als müssten sich die Menschen gegenseitig versichern, dass das eben auch jeder mitbekommen hat.

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