Wagner als Dichter : Hieher! Die Klinze verklemmt!
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Wehe, wenn sie den Mund aufmacht: Brünnhilde, hier verkörpert von der Schauspielerin Clara Ziegler, in einem um 1880 entstandenen Rollenbild Bild: Stroemfeld / Roter Stern
Der Komponist als Dichter: Die Libretti zum „Ring der Nibelungen“ hat Richard Wagner selbst verfasst. Ein Blick auf die Details von Wagners „bombastischem Alliterationsgestammel“, über das schon Zeitgenossen spotteten.
Ein Paradoxon: Die Handlung vieler Opernlibretti ist abstrus, der Text jedoch verständlich. Jeder Opernbesucher ist durchaus in der Lage, sie Wort für Wort und Satz für Satz zu verstehen, wenn sie nicht durch die Sänger phonetisch allzu sehr deformiert wurden. Die einzige Ausnahme von dieser Regel liefert Richard Wagner in seinem „Ring des Nibelungen“.
Zur getrennten Betrachtung seiner Sprache und Musik sind wir - trotz deren Interdependenz und trotz der Annahme eines „Gesamtkunstwerks“ - berechtigt: Wagner selbst hat dies ja praktiziert. Er war sein eigener Textdichter - und stolz darauf, wenngleich er sich zuweilen auch selbst dementierte: „Ich bin kein Dichter, und ist es mir ganz gleich, ob man meiner Diktion Vorwürfe macht.“
Immer wieder spricht er von seinem „tetralogischen Gedicht“ oder seiner „Dichtung“, die er verfasste, bevor er sich an die Komposition machte. Er schätzte sein „Gedicht“ so sehr, dass er den vollständigen „Ring“ 1853 im Zürcher Hotel Baur du Lac vor geladenen Gästen rezitierte und im gleichen Jahr fünfzig Exemplare als Privatdruck veröffentlichte. Er sah darin „ein poetisches Literaturprodukt“ und freute sich über „Äußerungen allerbedeutendster Anerkennung für diese meine Dichtung“.
Die Verständlichkeit des Textes steht auf dem Spiel
Zwar ist solches Lob zuweilen berechtigt: Siegmunds Lied (Walküre I) - „Winterstürme wichen / dem Wonnemond, / in mildem Lichte / leuchtet der Lenz...“ - oder Brünnhildes Lied (Walküre III) - „War es so schmählich, / was ich verbrach, daß mein Verbrechen so schmählich du strafst?“ - haben durchaus poetische Qualitäten. Doch ist eine kritische Betrachtung vieler Passagen angebracht.
Hier geht es nicht darum, unfreiwillig komische Verse anzuprangern - wie etwa Brünnhildes Bitte an ihre Schwester: „Leih’ mir deinen Renner!“, Siegfrieds erotisches Flehen: „Du Weib, jetzt lösche den Brand!“ oder Fafners „zierliche Fresse“. Auch überladene, realparodistische Alliterationen wie in der Hymne Siegfrieds und Gunthers auf ihre Blutsbrüderschaft - „Blühenden Lebens / labendes Blut / träufelt’ ich in den Trank...“ sollen hier außen vor bleiben - bereits Wagners Todfeind Eduard Hanslick hatte sie als „bombastisches Alliterationsgestotter“ verspottet.
Verbale Exzesse seien ebenfalls nur am Rande erwähnt - wie Brünnhildes Brunstschrei im Angesicht des jungen Siegfried: „O kindischer Held! / O herrlicher Knabe! / Du hehrster Taten / töriger Hort!“ Nein - auf dem Spiel steht mehr: die Verständlichkeit des Textes, den Ernst Bloch seinerzeit „bei keiner Aufführung verstehbar“ fand. Wenn man nicht - wie mancher Opernbesucher - auf das Verständnis des Textes verzichtet, muss man an einer semantischen und syntaktischen Aufklärung des Sachverhalts interessiert sein.
Wagner war bestens gerüstet
Im germanischen Nebel Waberndes nehmen wir nicht in Kauf - anders als Nietzsche, der gleichwohl „einzelnes Absonderliches“ und „häufigere Dunkelheiten des Ausdrucks“ in Wagners Text bemerkt hatte. Und anders als Thomas Mann, der Richard Wagner in Hassliebe verehrte und verabscheute, jedoch befand: „Seine Texte...sind denn auch wunderlich genug..., als sprachliche Gebilde nicht haltbar“. Und - welche Überraschung! - anders als der Meister selbst, der einmal (im Widerspruch zu früheren Bekundungen) ex cathedra verkündete: „Es ist mir gleichgültig, ob man die Verse versteht - meine Handlung wird man schon begreifen.“