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Waffenrecht : Der beste Freund des Massenmörders

  • -Aktualisiert am

Mit Waffen, die man nicht kaufen kann, kann man auch keine Massaker begehen. Doch Glock-Pistolen, wie diese hier, sind leicht zu bekommen. Bild: Reuters

Auch die Waffe des Münchner Amokläufers war zunächst einmal legal. Fünf Jahre nach dem Utøya-Massaker werden private Schusswaffen in Europa noch immer zu Mordwaffen.

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          Natürlich kann eine Waffe in falsche Hände geraten, dann ist das sicher nicht unsere Absicht“, erklärte Umberta Gnutti Beretta kürzlich, als sie auf den Zusammenhang zwischen ihrem Familienbetrieb und der Tatwaffe des Schulmassakers von Winnenden im Jahr 2009 angesprochen wurde. „Wir legen Wert darauf, an die good guys zu verkaufen.“ Die guten Jungs mit den richtigen Händen. So ähnlich würde es wohl auch der Waffen-Industrielle Gaston Glock sagen, wenn er nicht so scheu wäre.

          „Achtzig Prozent unseres Geschäfts sind Sportwaffen“, sagt Frau Beretta. Der Rest gehe zum Großteil an Militär und Polizei. Glock bewirbt seine Pistolen mit dem Satz: „Unzählige Anwender weltweit schwören täglich auf die Vorzüge der Waffe in Beruf und Freizeit.“ Ursprünglich hatte Gaston Glock eine Pistole für das österreichische Bundesheer entwickelt. Doch auch „für Verbrecher und Amokläufer ist sie erste Wahl“ (so die Tageszeitung „Die Welt“). Unter anderen für den achtzehnjährigen Schüler, der am Freitag in München neun Menschen erschossen hat, überwiegend Jugendliche. Erste Wahl waren legal erworbene Glock-Pistolen auch bei den Sportschützen-Massakern im amerikanischen Killeen 1991 mit 23 Toten, in Erfurt 2002 mit sechzehn Toten, im französischen Nanterre 2002 mit acht Toten, im amerikanischen Blacksburg 2007 mit 32 Toten, im amerikanischen Tucson 2011 mit sechs Toten, im norwegischen Utøya 2011 mit 69 Toten, im amerikanischen Aurora 2012 mit zwölf Toten und im amerikanischen Charleston 2015 mit neun Toten.

          Aufruf zur verstärkten Bürgerbewaffnung

          Der Münchner Täter habe den Sportwaffen-Amokläufer von Winnenden verherrlicht, hat die Polizei mitgeteilt. Die Pistole soll er illegal erworben haben. Tatsache ist: Auch diese Waffe war von der Firma Glock zunächst einmal legal verkauft worden. Und unabhängig davon, ob sie danach als Sport- oder als Jagdwaffe weiterverkauft wurde oder als (unzureichend deaktivierte) „Dekowaffe“, Schreckschuss-Pistole oder Sammlerwaffe – der Amoklauf in München erinnert jäh an die anhaltenden Gefahren legaler und illegaler Schusswaffen. An jedem Ort, jederzeit.

          Nach dem Amoklauf : Bluttat von München löst Debatte über Waffenrecht aus

          Annähernd 1,5 Millionen Bürger besitzen in Deutschland legal rund 5,8 Millionen tödliche Schusswaffen, vor allem Sportschützen, gefolgt von Jägern, Sammlern und Erben. Dabei lautet ein Grundsatz des Bundesverwaltungsgerichts: „So wenig Waffen wie möglich ins Volk“ (Urteil vom 13. Juli 1999). Schön wär’s. Anfang des Jahres rief die deutsche Waffenlobby über ihre Sprachrohre – die drei führenden Zeitschriften für Legalwaffen-Besitzer – zur verstärkten „Bürgerbewaffnung“ auf: „Gegebenenfalls müssen die Bürger die Rolle der Polizisten wahrnehmen“, meinte Matthias Recktenwald, der Chefredakteur von „Visier“, und forderte „passende Regelungen für Waffentrage-Erlaubnisse“, die so schnell wie möglich „unbescholtenen Bürgern Recht und Mittel zur Notwehr zugestehen“.

          Der beständige Waffenausrüster von Kriminellen

          Stefan Perey, Chefredakteur von „Caliber“, forderte damals in einem Editorial, „den legalen Waffenbesitz in der Zivilbevölkerung zu liberalisieren, weil der Staat ohnehin nicht mehr seine Sicherheitsaufgaben vollumfänglich erfüllen kann“. Und im „Deutschen Waffen-Journal“ setzte sich die stellvertretende Vorsitzende der AfD, Beatrix von Storch, im Gespräch mit dessen Chefredakteur Walter Schulz für „eine Liberalisierung“ des Waffenrechts ein.

          Schon heute gerät das private Waffenarsenal der Deutschen zunehmend außer Kontrolle. Laut Auskunft des Bundesinnenministeriums werden Jahr für Jahr Hunderte Sportwaffen als abhandengekommen oder gestohlen gemeldet. Der frühere Referatsleiter Waffenrecht im Innenministerium (BMI), Jürgen Brenneke, hatte schon 2005 festgestellt: „Viele dieser Waffen geraten in falsche Hände, so dass man den Personenkreis legaler Waffenbesitzer geradezu als beständigen Waffenausrüster von Kriminellen ansehen kann.“ In der Statistik des BMI werden solche Waffen dann kurzerhand als illegal verbucht. Auch bei politisch motivierten Morden wurden in Deutschland bereits Sportwaffen verwendet, die zunächst legal erworben worden waren. Zum Beispiel die Tatwaffe bei neun Morden des NSU.

          Dauerhaft Spaß mit dem Sturmgewehr

          Neben der Glock-Pistole gehört inzwischen für viele Amokläufer ein Sturmgewehr zur Standardausrüstung, bevorzugt vom Typ AR-15. „Es ist der beste Freund des Massenmörders“, schrieb die „New York Daily News“ nach dem kürzlichen Sturmgewehr-Massaker in einem Nachtclub in Orlando mit 49 Toten. Auch beim San-Bernardino-Shooting mit vierzehn Toten, beim Grundschul-Massaker in Newtown mit 26 Toten und beim Kino-Amoklauf in Aurora mit zwölf Toten haben die Täter mit legal erworbenen AR-15-Gewehren gemordet.

          Amerikanische Verhältnisse – in Europa kein Problem? Beim Gemetzel im Kantonsparlament der schweizerischen Stadt Zug erschoss der Amokläufer mit einem legal erworbenen privaten halbautomatischen Sturmgewehr dreizehn Politiker. Beim Amok in Bad Reichenhall tötete 1999 ein sechzehnjähriger Neonazi und Sportschütze mit einem halbautomatischen Sturmgewehr ein Nachbarehepaar. „Warum sollte man Schützen und Jägern eine solche Waffe vorenthalten?“, fragt die in Krefeld firmierende Schmeisser GmbH und verspricht auch den deutschen Käufern „dauerhaft Spaß“ mit ihrem tödlichen „AR-15-Abkömmling“.

          Nach den Pariser Anschlägen vom November 2015 sollten innerhalb der EU halbautomatische Gewehre, die vollautomatischen Kriegswaffen (Sturmgewehren) ähneln, verboten werden. Angesichts der Millionen legalen Militär- und Polizeipistolen in Privathand war diese angekündigte Verschärfung des EU-Waffenrechts ein unzureichendes Reförmchen. Doch selbst von den minimalen Veränderungsplänen ist nach dem propagandistischen Dauerfeuer der Waffenlobbyisten nicht viel übriggeblieben. Alle vier zentralen Forderungen der EU-Kommission in Bezug auf tödliche Privatwaffen sollen gekippt werden.

          Billige Beruhigungspille fürs Volk

          Das geht unter anderem aus der Beschlussvorlage der EU-Innenminister vom Juni 2016 hervor: Halbautomatische Sturmgewehre sollen für Sportschützen weiterhin erlaubt sein. Ebenso Magazine mit höherer Kapazität, wie sie zum Beispiel die Amokläufer von Erfurt und Utøya benutzt hatten. Allein Sportschützen mit einer solchen Ausrüstung sollen noch medizinisch und psychologisch überprüft werden. Ursprünglich sollte das generell für Antragsteller vor Erteilung der Waffenerlaubnis und auch regelmäßig danach gelten. Ganz ohne solche Überprüfungen sollen Schützen und Jäger Pistolen mit Zwanzig-Schuss-Magazinen besitzen dürfen. Für das Schulmassaker in Winnenden genügte eine Pistole mit Zehn-Schuss-Magazin. So leicht darf man es Mördern nicht machen.

          Nach dem Willen des EU-Binnenmarkt-Ausschusses soll auch noch jene Gesetzesverschärfung aufgegeben werden, nach der die Waffenbesitz-Erlaubnis alle fünf Jahre erneuert werden müsste. Dennoch lauteten die Schlagzeilen nach dem Beschluss der EU-Innenminister im Juni landauf, landab: „EU verschärft Waffenrecht“. „Unsere Waffengesetze sind schon jetzt sehr streng“, hat Bundesinnenminister De Maizière nach den Münchner Morden erklärt, „in Europa wollen wir mit der jetzt zur Verabschiedung anstehenden Waffenrichtlinie weitere Fortschritte erreichen.“ Wenn das Europäische Parlament zustimmen sollte, wird sich diese Verschärfung aber nur als billige Beruhigungspille fürs Volk erweisen. Dann kann das Morden mit legalen Privatwaffen ungehindert weitergehen.

          In kollektivem Egoismus auf das Privileg privater Waffen pochen

          Gleichwohl steht es auch den Deutschen jederzeit frei, ein Waffengesetz zu beschließen, das weiter geht, als es die EU-Norm vorgibt. Worauf warten wir? Aufs nächste Massaker? Oder ändern wir etwas am Kreislauf „Lasches Waffenrecht – weitere Tote“? Schon nach dem Massaker auf Utøya – auf den Tag genau fünf Jahre vor dem Amoklauf in München – hatte die Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen!“ appelliert: „Schusswaffen dürfen nicht für private Zwecke erlaubt sein. Das Risiko tödlicher Sportwaffen ist nicht beherrschbar. Scharfe Waffen sind kein Spielzeug.“ Seit dem Amoklauf auf Utøya 2011 hat die Initiative mehr als vierzig Sportschützen-Opfer in Deutschland dokumentiert, Suizide sind dabei nicht einmal berücksichtigt.

          Das Lebensrecht der unbewaffneten Mehrheit in Deutschland überwiegt bei menschenrechtsfreundlicher Auslegung der Gesetze selbstverständlich die Freiheitsrechte von Legalwaffen-Besitzern, die in kollektivem Egoismus auf ihr zuweilen tödlich ausgehendes Privileg privater Waffen pochen, statt endlich darauf zu verzichten. „Der Staat und seine Sicherheitsbehörden werden auch weiterhin alles daran setzen, um die Sicherheit und die Freiheit aller Menschen in Deutschland zu schützen“, hat Bundeskanzlerin Merkel nach dem Amoklauf in München den Bürgern versprochen. Weiterhin schützen – nur wie? Die Polizei kommt meist erst, nachdem die tödlichen Schüsse gefallen sind.

          2012 hatte Franz Joseph Freisleder, ärztlicher Direktor am renommierten Heckscher-Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie in München, darauf hingewiesen, dass Action- und Horror-Filme sowie Ego-Shooter-Spiele verstärkend auf die Absichten von Amokläufern wirkten. Doch die Hauptursache sei die Verfügbarkeit von Waffen, so Freisleder: „Mit einer Waffe, die ich nicht habe, kann ich auch kein Massaker anrichten.“

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