Vorgeschichte des Brexit : Trojaner unter uns
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Wer von Trojanern abstammt, muss sich von dahergelaufenen Kontinentalkaisern nichts sagen lassen. Bild: dpa
Hätten bloß alle die Dichter gelesen! Schon vor sechshundert Jahren stellten die Briten klar, dass sie sich nicht vom Kontinent herumkommandieren lassen.
Europas Legitimität kommt von weither. Am Ende vor allem aus Rom. Mit dem Trojanischen Krieg beginnt es. Aeneas, ein Flüchtling aus Troja, Sohn der Göttin Venus, langt, nach vielen Hindernissen und mannigfachen Abenteuern, in Italien an, heiratet Lavinia, die Tochter des Königs von Latium, gründet Alba Longa, die Mutterstadt Roms; und von Caesar bis Augustus beruft man sich auf die direkte Abstammung von ihm. Karl der Große war nicht leiblicher, aber politischer Nachfolger der römischen Kaiser.
So jedenfalls lautet die kontinentaleuropäische Auffassung. Karls Reich, das der Franken, umfasste Nordspanien und Oberitalien, den Westen Deutschlands, Frankreich natürlich und die Anrainerländer. Das Ganze legitimiert durch Rom, durch den Papst nämlich, der den Kaiser gekrönt hatte.
Die Dichter hatten alles schon gewusst
Aber wo blieben hier die Briten? Die hatten und haben es nicht nötig, sich irgendwelche Bestätigungen vom Kontinent oder aus Rom zu holen. Sie waren nämlich selbst aus Troja gekommen. Brutus von Troja, oder auch Brutus von Britannien genannt, war demnach ein Urenkel des Aeneas. Er erschlug die Riesen, die in Britannien wohnten, und gründete die Stadt Troia Nova, das spätere London.
„Siþen þe sege and þe assaut watz sesed at Troye“ (Seit die Belagerung von und der Angriff auf Troja geendet hatten): Mit diesen Worten beginnt noch um 1400 das Versepos „Sir Gawain and the Green Knight“, um dann die Geschichte des britischen Brutus zu erzählen, der hier den Beinamen „der Glückliche“ trägt, Felix Brutus. Mehr Eigenlegitimität gibt es doch gar nicht! Denn alle Rechte beruhen nach dem Glauben der älteren Welt auf Abstammung. Musste sich denn so einer von Kontinentaleuropa etwas sagen lassen, musste er sich vom Papst krönen lassen, musste er – God forbid! – beim fränkischen Kaiser nachfragen, was er zu tun und zu lassen hatte? Die Dichter haben alles gewusst, vor sechshundert und mehr Jahren. Lies keine Fahrpläne, mein Sohn, lies die Epen: Sie sind genauer.