Freihandelsabkommen TTIP : Die erstaunliche Leere im TTIP-Leseraum
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Wenn das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen USA und EU verabschiedet würde, wäre die weltgrößte Freihandelszone geboren Bild: dpa
Das Freihandelsabkommen zwischen USA und EU sorgt für europaweite Proteste. Schuld daran ist auch mangelnde Transparenz: Die Verhandlungstexte sind für die Öffentlichkeit geheim. Aber in der Politik scheint sich niemand dafür zu interessieren.
An die sperrige Abkürzung hat man sich mittlerweile gewöhnt: TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) ist ein Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, das bereits so viel Protest hervorrief wie kaum ein anderes. Man weiß zwar nicht genau, was Verhandlungsstand ist, aber man streitet über Beschäftigtenrechte, Tierversuche, Umweltstandards, Datenschutz, Dienstleistungen und Investorenrechte beidseits des Atlantiks oder über Klagemöglichkeiten vor privaten Schiedsgerichten, die nach gängiger Definition gar keine Gerichte sind. Das Europaparlament sprach sich zuletzt dagegen aus.
Für den Mittelstand wäre das finanzielle Risiko von Klagen vor solchen Schiedsgerichten auch wegen der eklatanten Verfahrenskosten ohnehin nicht tragbar. Das haben manche Mittelständler längst begriffen, und auch, dass es in dem Abkommen weniger um ihre Interessen als um diejenigen der multinationalen Konzerne geht. Kürzlich gründete sich in Großbritannien die Initiative „Business against TTIP“, in der sich mehr als einhundert mittelständische Unternehmer zusammengeschlossen haben. Darunter ist Vivienne Westwood, die zum Kampf gegen das Abkommen aufruft, da es „das Ende der Demokratie“ bedeuten würde.
Es kämpfen nun also neben unzähligen Bürgerinitiativen auch britische mittelständische Firmen gegen das geheime Abkommen für die Großkonzerne. Dass es das Ende der Demokratie sei, wenn sich deren Firmenlobbyisten selbst die internationalen wirtschaftlichen Regeln der Zukunft schrieben, werden Beobachter solcher Schiedsverhandlungen eher schulterzuckend zur Kenntnis nehmen. Zu alltäglich und tonangebend ist die Lobby der Konzerne geworden. Es mögen sich viele damit abgefunden haben, dass transatlantische Wirtschaftsvertreter quasi mit sich selbst verhandeln. Aber die Tatsache, dass die Öffentlichkeit die Verhandlungstexte nicht einsehen darf, bleibt Kern des Protests. Es gibt Volksvertreter, die würden nur zu gern Klarheit schaffen und im Detail erfahren, was genau inhaltlich verhandelt wird. Denn die TTIP-Unterlagen mit den Verhandlungspositionen sind nicht nur uns Normalsterblichen verschlossen, sondern auch Bundestagsabgeordneten und Parlamentariern anderer beteiligter Staaten.
Ausnahmen sind nur ausgewählte Mitglieder des US-Kongresses und des EU-Parlaments, die nach Abgabe ihrer Mobiltelefone und anderer kopierfähiger Geräte in einen extra dafür vorgesehenen Raum eintreten dürfen, um dort unter Aufsicht Einblick in einige der TTIP-Papiere zu nehmen. Den Vertretern der verhandelnden Wirtschaftseliten bürdet man indes nicht solche Restriktionen auf. Man vertraut ihnen stattdessen Passwörter an, damit sie bequem online und jederzeit auf die Dokumente zugreifen können.
Kein einziger Minister hat den „TTIP-Lesesaal“ aufgesucht
Deutschen Regierungsmitgliedern - nicht jedoch den Abgeordneten - mutet man seit vergangenem Mai das Papier-verfahren zu. Sie dürfen allen Ernstes in der deutschen Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin vormittags einen „Leseraum“ aufsuchen, um ausgedruckte Seiten zu studieren. Als in der Bundespressekonferenz danach gefragt wurde, ob sich Mitarbeiter der Regierung der misstrauischen Prozedur tatsächlich unterzogen hätten, konnte das federführende Wirtschaftsministerium diese Frage im Sommer nicht beantworten. Man gab lediglich an, man habe 139 Personen aus den Ministerien erst einmal gemeldet, die potentiell Zutritt nehmen könnten.