
Vergeudete Zeit? : Viel gereut
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Die Wissenschaft hat festgestellt, dass wir 45 Minuten jeder Woche mit Reuegedanken verbringen. Herzensangelegenheiten sind dabei nur Nebensache.
Ach, hätte man doch nur: das Herz im entscheidenden Moment geöffnet, mehr Umsicht gezeigt, weniger Zeit vergeudet, einen anderen Beruf gewählt, den Beileidsbrief geschrieben oder noch das eine zusätzliche Gebot abgegeben, um sich das begehrte Kunstwerk nicht durch die Lappen gehen zu lassen! Oft sind es ja die nicht begangenen Torheiten, die man am meisten bereut, gilt es doch stets, die Waage zu halten zwischen Selbstverwirklichung und Pflicht. Diese verdammte Vernunft, die einem so viele Freuden stiehlt.
Casanova nannte sie „des Herzens größte Feindin“. Lichtenberg postulierte zwar, „ängstlich zu sinnen und zu denken, wie man es hätte tun können, ist das Übelste, was man tun kann“, und Frank Sinatra erklärte in „My Way“, zu wenig zu bedauern, als dass es der Erwähnung wert wäre, doch vermögen die wenigsten so unbekümmert wie Edith Piaf zu verkünden: „Je ne regrette rien.“ Einer neuen Studie zufolge verbringen wir jede Woche eine Dreiviertelstunde mit Reuegedanken, wobei kurioserweise Herzensangelegenheiten, wie sie etwa Madame Bovary beschäftigen, als sie überlegt, „ob es nicht möglich gewesen wäre, dass sie durch irgendwelche anderen Fügungen des Schicksals einem anderen Mann hätte begegnen können“, nicht ganz vorn stehen.
Die gefühlte Produktivität der Reuegefühle
Am meisten bedauern wir, nicht genug Geld gespart, in der Schule nicht mehr gepaukt, nicht genug Sport getrieben, zu wenig von der Welt gesehen und - wie soll es anders sein bei einer Umfrage im Auftrag einer Firma, die elektronische Zigaretten zum Abgewöhnen vermarktet - mit Rauchen begonnen zu haben. Erst danach kommen das Bedauern über Beziehungen - zu frühe Heirat, verpasste Gelegenheiten, zu wenig Sex -, Schuldgefühle gegenüber Eltern, Kindern und Freunden, die Gewissensbisse über die Schwäche des Körpers und der Seele, die Reue über Versäumnisse und Fehlentscheidungen.
Diese Befunde decken sich mit anderen Studien über kontrafaktische Gedanken, die ermittelt haben, dass Frauen mehr im Bereich von Familie und Liebe bedauern, während Männer eher an Beruf und Finanzen denken. Die jüngste Studie hat allerdings auch festgestellt, dass Reuegefühle als produktiv empfunden werden. Zwei Drittel der Befragten meinen, aus ihren Fehlern gelernt zu haben. Im Sinne des Multi-Aphoristikers Lichtenberg sehen viele die Tugend ohnehin mehr im Bereuen der Fehler als im Vermeiden.
