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Vatikan contra Völkerrecht : Der Papst auf der Anklagebank

Moralische Aggression entlädt sich an seiner Person: Papst Bendikt XVI.

Moralische Aggression entlädt sich an seiner Person: Papst Bendikt XVI. Bild: ddp

Das gab es in der Geschichte der Weltmeinung noch nicht: Geoffrey Robertson, einer der angesehensten Rechtsanwälte Großbritanniens, will Benedikt XVI. verhaften lassen. Für ihn sind die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

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          Das vatikanische Presseamt teilte am Freitag mit, dass Papst Benedikt XVI. sich einen Fernsehfilm mit dem Titel „Under the Roman Sky“ habe vorführen lassen. Der zweiteilige Film beruht laut seiner italienischen Produktionsfirma auf den Akten des Seligsprechungsverfahrens von Pius XII. und erzählt die Geschichte eines von Hitler angeordneten Versuchs, den Papst in deutschen Gewahrsam zu bringen. Im vergangenen Jahr hatte der Jesuit Peter Gumpel, der Anwalt des Pacelli-Papstes im Kanonisierungsprozess, von Dokumenten des Vatikanarchivs berichtet, nach denen Pius XII. tatsächlich mit einer Entführung gerechnet habe. Er habe für diesen Fall vorsorglich seinen automatisch eintretenden Rücktritt erklärt und zu seinen Vertrauten gesagt: „Wenn sie mich verhaften wollen, müssen sie mich gewaltsam aus dem Vatikan herausschaffen.“

          Patrick Bahners
          Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

          Während Benedikt XVI. sich in Castel Gandolfo den dreieinhalb Stunden langen Film mit James Cromwell, dem Prinz Philipp aus „The Queen“, in der Hauptrolle ansah, wurde in London der juristische Versuch vorbereitet, den Nachfolger von Pius XII. während seines Besuches in Großbritannien im September festnehmen zu lassen. Am Sonntag teilten der Biologe Richard Dawkins und der Journalist Christopher Hitchens in der „Sunday Times“ mit, sie hätten den Rechtsanwalt Geoffrey Robertson mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Eingabe an die englischen Strafverfolgungsbehörden beauftragt. Robertson hatte am Karfreitag im „Guardian“ einen Artikel mit der Überschrift „Setzt den Papst auf die Anklagebank!“ veröffentlicht.

          Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit

          Es scheint nahezuliegen, die Drohung von Dawkins und Hitchens als die neueste Scharade jener atheistischen Propaganda abzutun, die ihren Gegner auch mit karnevalistischen Knalleffekten verächtlich machen will. Aber die Beteiligung von Robertson, der Dawkins und Hitchens vielleicht erst auf ihre Idee gebracht hat, nötigt dazu, die Sache ernstzunehmen. Geoffrey Robertson, 1946 in Australien geboren, seit 1988 Queen's Counsel, ist einer der bekanntesten Menschenrechtsanwälte der Welt. Zu seinen Mandanten gehört Salman Rushdie. Der Gründer der Kanzlei Doughty Street wurde berühmt als Verteidiger der Pressefreiheit und nutzt die Presse virtuos. Sein Buch „Crimes Against Humanity“ erschien 1999 bei Penguin. Als Berufungsrichter im Sondergerichtshof der Vereinten Nationen für Sierra Leone verfasste er ein Urteil zur Ungültigkeit von Amnestien bei Kriegsverbrechen.

          Geoffrey Robertson
          Geoffrey Robertson : Bild: AFP

          Robertson sieht in der Duldung und Förderung des Kindesmissbrauchs ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß dem heute geltenden Völkerrecht. Es könne nach dem Prinzip der universalen Jurisdiktion, der Zuständigkeit jedes Gerichts für schlimmste Verbrechen, auch von der britischen Justiz verfolgt werden. Der Präzedenzfall ist die vom Oberhaus gebilligte Verhaftung des früheren chilenischen Diktators Pinochet 1998.

          Den Präsidenten von Sudan schützt die Staatenimmunität auch nicht

          In der schon von der Justiz der Vereinigten Staaten erörterten Frage, ob der Papst als Staatsoberhaupt vor Strafverfolgung geschützt sei, vertritt Robertson die These, der Vatikan, Beobachter, nicht Mitglied der Vereinten Nationen, sei gar kein Staat. Er geht nicht auf die Frage ein, ob eine analoge Anwendung des Staatenimmunitätsprinzips den Papst nicht schon als nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt schütze. Der Papst ist - neben dem Piraten, wie Carl Schmitt notierte - die einzige Person mit Subjektqualität im Völkerrecht. Er figuriert dort als der Heilige Stuhl. Keinen Schutz für Staatsoberhäupter, so Robertson, gibt es jedenfalls vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Er verweist auf die Anklage wegen gegen den sudanesischen Präsidenten Baschir.

          Im Januar sagte das israelische Verteidigungsministerium den Besuch einer Delegation in Großbritannien ab, nachdem das britische Außenministerium nicht hatte garantieren können, dass die Offiziere bei Betreten britischen Bodens nicht verhaftet werden würden. Wegen des Gaza-Krieges haben Menschenrechtsaktivisten Verfahren nach dem Prinzip der universalen Jurisdiktion angestrengt. Benedikt XVI. muss nicht fürchten, dass er tatsächlich verhaftet wird. Wie Robertson einräumt, unterhält Großbritannien diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl. Anders als bei Pinochet, der im Ruhestand medizinische Hilfe suchte, wird es sich bei der Visite Benedikts XVI. um einen Staatsbesuch handeln, zu dem Königin Elisabeth II. den Papst eingeladen hat. Die Anwendung des Grundsatzes der Staatenimmunität dürfte auf der Hand liegen.

          Auf dem Weltkongress der Atheisten

          Doch mit dieser rechtlich-diplomatischen Einschätzung ist die Angelegenheit auch für den Heiligen Stuhl nicht erledigt. Dem Papst wird der Status eines Völkerrechtssubjekts zuerkannt, weil der ältesten Institution des Abendlands eine Sonderrolle in der Weltmeinung zukommt - hinzusetzen muss man: auch nach der Weltmeinung. Die traditionelle Rechtfertigung dieses Relikts einer Zeit, als die ganze Weltordnung auf Papst und Kaiser zulief, ist die Seelsorge für die über den Erdball verstreuten Katholiken; hinzugekommen ist im zwanzigsten Jahrhundert der Respekt für eine gleichsam säkulare Ausübung des universalen Hirtenamtes des Papsttums, das, ohne Gehorsam zu verlangen, als eine Art Weltgewissen spricht. Immer wieder haben die Päpste die Durchsetzung der früher von der Kirche verworfenen Menschenrechte zu ihrer Mission gemacht. Vor diesem Hintergrund begreift man das Dramatische der Lage.

          Es ist ein bedeutendes Faktum in der Geschichte der Weltmeinung, dass einer der angesehensten Juristen Großbritanniens, einer der Schutzmächte der weltweiten rule of law, in der klassischen Zeitung des englischen Liberalismus die Forderung erhebt, dem Papst solle der Prozess gemacht werden, und ihn auf eine Stufe mit einem Diktator und Völkermörder stellt. Wenn Robertson den Vatikanstaat als eine den Völkergewohnheiten widersprechende einseitige Schöpfung Mussolinis abtut, will er dem heutigen Oberhaupt des einstigen faschistischen Marionettenstaates einen Platz in der Gesellschaft der Feinde der Menschheit zuweisen. Auf dieser Linie agitierte Dawkins, als er kürzlich auf dem Weltkongress der Atheisten in Melbourne Pius XII. unter dem höhnischen Gelächter der Versammlung als „Pope Nazi“ apostrophierte.

          Das Delikt stammt aus den Akten der Nürnberger Prozesse

          Die normative Konsequenz aus diesem Geschichtsbild ist, dass Robertson den Papst wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagen will, also eine Kategorie von Delikten bemüht, die durch die Nürnberger Prozesse Eingang ins Völkerrecht gefunden hat. Um den Papst als Mittäter und Anstifter der Vergewaltigung von Kindern verurteilen zu können, muss man die hierarchische Struktur der Papstkirche als Kopie beziehungsweise Vorbild der totalitären Parteien deuten: Bei jedem Unrechtsakt ist eine allerhöchste Anordnung zu unterstellen. Hätte Hitler in Nürnberg vor Gericht gestanden, wäre es auf einen Aktenbeweis des Führerbefehls für den Judenmord nicht angekommen. Allerdings konnten sich die englischen und amerikanischen Ankläger nicht mit der Absicht durchsetzen, mittels der angelsächsischen Rechtsfigur der Verschwörung zur Begehung eines Verbrechens („conspiracy“) alle Funktionäre der nationalsozialistischen Organisationen zu Mitschuldigen zu erklären.

          Der Verfassungsrichter Udo di Fabio hat in einem Beitrag für diese Zeitung darauf aufmerksam gemacht, dass in der Erregung der Missbrauchsdebatte Tonfälle der finstersten kulturkämpferischen Vergangenheit wiederkehren. Die Kirche wird als globaler Kinderschänderring hingestellt, alle pastoralen und kriminologischen Fehleinschätzungen werden aus einer römischen Verschwörung zum Schutz der Ehre des Klerus erklärt. Um den Nachweis persönlicher Verantwortlichkeit geht es den Bezichtigern nicht. Richard Dawkins hat schon in seinem Bestseller gegen den „Gotteswahn“ die Religion überhaupt als Kindesmissbrauch denunziert. In einem geschmacklosen Kommentar bei „Slate“ hat Christopher Hitchens in diesem Sinne eine Verbindung hergestellt zwischen dem Bad Tölzer Fall aus der Zuständigkeit des früheren Erzbischofs Ratzinger und einer erzbischöflichen Anweisung Ratzingers, dass Kinder im Jahr der Erstkommunion auch zur ersten Beichte gehen sollten. „Er war sehr streng in einem Punkt der Lehre: Nehmt sie euch, wenn sie noch jung sind!“

          Ein Akt der moralischen Aggression

          Solche pornographischen Phantasien, von denen die Nationalsozialisten in den Sittlichkeitsprozessen gegen Priester Gebrauch machten, stammen aus den antiklerikalen Flugschriften der Reformationszeit. Nach Vermutung des anglikanischen Kirchenhistorikers Owen Chadwick war Hitlers Plan, den Papst zu entführen, eine Erfindung der britischen Propaganda. Großbritannien verteidigte im Zweiten Weltkrieg die päpstliche Souveränität, obwohl die Bekämpfung der weltlichen Macht der Päpste jahrhundertelang die englische Staatsräson bestimmt hatte. Geoffrey Robertson hat ein Buch über den Prozess gegen Karl I. geschrieben. Als Tyrannen richteten die Engländer ihren König hin - und als vermeintlichen Papisten.

          Es wirkte wenig souverän, als Kardinal Sodano als Kardinaldekan im Ostergottesdienst dem Papst die Solidarität der gesamten Priesterschaft zusicherte. Könnte man Kritik in der Presse, wäre sie wirklich vollkommen unsachlich, nicht auf sich beruhen lassen? Aber möglicherweise hatte man im Vatikan Robertsons Artikel gelesen. Er ist ein Akt der moralischen Aggression, vergleichbar der Absetzung Papst Gregors VII. durch Kaiser Heinrich IV. und dem Anschlag der Ritter König Heinrichs II. auf Erzbischof Thomas Becket im Dom von Canterbury.

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