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Rushdie-Solidaritätslesung : Unter Löwen

Auf den Treppenstufen zur New York Public Library: Solidaritätslesung für Salman Rushdie Bild: AFP

Auf den Stufen der Public Library von New York traten sechzehn Kollegen und Freunde von Salman Rushdie auf, um Solidarität mit dem bei einem Attentat schwerverletzten Schriftsteller zu zeigen.

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          Die Solidaritätslesung für Salman Rushdie auf den Stufen der New York Public Library begann ziemlich genau eine Woche nach dem Attentat auf den Schriftsteller, am heutigen Freitag um zehn Uhr morgens dortiger Zeit, siebzehn Uhr bei uns. Der PEN America, ehedem von Rushdie geleitet, hatte dazu eingeladen, die Bibliothek dafür ihre berühmteste Ansicht zur Verfügung gestellt: die Treppe zwischen den beiden steinernen Löwen, und man muss wissen, dass Rushdie so verbunden mit dieser Institution ist, dass er von ihr 2009 zum „Library Lyon“ ernannt wurde, für seine Verdienste ums Lesen und die Meinungsfreiheit. Seit etlichen Jahren lebt der indisch-britische Schriftsteller in der Stadt. Diesmal konnte er nur aus seinem Krankenhauszimmer in Philadelphia zuschauen.

          Andreas Platthaus
          Verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben.

          „Stand with Salman“ lautete die Losung, und am Ende der fünfundsiebzig Minuten wechselte die Kameraeinstellung des Livestreams zum einzigen Mal vom statischen Close-up des Rednerpults auf der Treppe (nur manchmal flogen einige der weltberühmten Tauben durchs Bild) zu einer Totalen, so dass man die vielen Hundert Zuschauer sehen konnte, und auf den Stufen gruppierten sich die Teilnehmer mit einzelnen Buchstaben in den Händen, die sich zu einem riesigen „Stand with Salman“ zusammensetzten.

          Das Programm war wegen der Kürze der angestrebten Dauer (eine Stunde war angepeilt) dicht: Nach Suzanne Nossel, CEO von PEN America, also Rushdies Nachfolgerin , die sich zur Begrüßung einen Löwenanteil an der Gesamtzeit gönnte, und einem Bibliotheksrepräsentanten, der sich wohltuend kürzer hielt, folgten insgesamt sechzehn Redner, die meisten von ihnen Schriftsteller, darunter so prominente wie Siri Hustvedt, Paul Auster, Colum McCann oder Gay Talese – Letzterer mit seinen neunzig Jahren immer noch der Eleganteste von allen. Aber auch Tina Brown, die frühere Chefin des „New Yorker“, hatte noch kurzfristig zugesagt, und mit Roya Hakakian war eine iranische Kollegin von Rushdie vertreten, die für jene Landsleute und Muslime sprach, die im Autor der „Satanischen Verse“ keinen Teufel sehen.

          Jeder hatte sich ein anderes Werk von Rushdie ausgesucht

          Die meisten der Sechzehn trugen Auszüge aus Rushdies Werken vor: von „Mitternachtskinder“, dem ersten Erfolg (erschienen 1981), bis zum noch gar nicht publizierten „Victory City“, dessen Erscheinen erst für Februar 2023 angekündigt ist. Aber auch aus Rushdies Reden oder Essays wurde gelesen – und peinlich darauf geachtet, dass nicht zweimal dasselbe Werk zur Sprache kam. So wurden auch „Die Satanischen Verse“ nur einmal zu Gehör gebracht, mit dem Himmelssturz des Romananfangs, gelesen von dem britischen Schriftsteller Hari Kunzru, selbst Sohn eines Inders. Auster las aus der fiktionalisierten Autobiographie „Joseph Anton“ von 2012, Brown trug einen Auszug aus einer Rushdie-Rede von 1996 über die Bedeutung der Presse vor.

          Man mag darüber streiten, ob es ein schlüssiger Gedanke des Lyrikers Reginald Dwayne Betts war, als erster Gast auf der Treppe die Wirkung von geliebter Literatur mit radioaktivem Fallout zu vergleichen. Umso eindrucksvoller war dann McCann, der davon erzählte, wie er nach der Lektüre von „Mitternachtskinder“ als Zwanzigjähriger durch London gezogen war und die Adresse des bewunderten Salman Rushdie dem nächsten Telefonbuch entnommen hatte. Zwar war der Schriftsteller dann nicht zu Hause, aber McCann traf seine Frau, die ihm sorglos öffnete. „Das war die Welt“, sagte McCann nun auf den Stufen der Public Library, „in der das größte Risiko für einen Schriftsteller darin bestand, das ein begeisterter Leser plötzlich vor der Tür stand. Man nennt das Zivilisation.“ Nur wenige Jahre später, 1989, war die Fatwa gegen Rushdie ausgesprochen, und bis heute ist diese Zivilisation nicht wieder eingetreten.

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