Serie „Wildwechsel“ : Der kleine Sauhaufen
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Die Kleinen haben’s warm und trocken, die Mutter duldet es: Frischlinge auf einer Bache im Schnee. Bild: Picture-Alliance
Nicht zu nahe kommen: Wildschweine sind die leisen Sumoringer unter den Wildtieren. Ihre sprichwörtliche Schläue hat etwas geradezu Unheimliches. Nicht nur weil sie Wildschäden verursachen, werden sie zum Problem.
Was haben Internet und antike Vasen gemeinsam? Menschen verwenden – oder verwendeten – diese Medien zur Illustration von Emotionen, zur Weitergabe von Informationen, als Speicherquellen aufwühlender Ereignisse. Wildschweine finden sich in dem einen wie dem anderen Medium repräsentiert – als Inbegriff animalischen Wütens. Es gab sie schon immer, schon in der Antike, und es gibt sie überall, in unseren Maisäckern, in unseren Wäldern, unseren Vorgärten und auf Berliner Kreuzungen. Die Omnivoren scheinen die leisen Sumoringer unter den Wildtieren zu sein, schwer und feist um die Körpermitte, dabei überraschend wendig. So glatt und glänzend allerdings die Ringer auftreten, so borstig und stachelig, braun, grau, schwärzlich, bewehrt mit den fürchterlichen Hauern und Mahlzähnen, die Sauen.
Ihre sprichwörtliche Schläue hat etwas geradezu Unheimliches. Wenn sich bei der Drückjagd Hunde und Treiber durch mannshohes Brombeergestrüpp kämpfen, liegen häufig die Schweine still verborgen einen Meter neben der Dornenschneise in der Dickung. Man hört sie nur nicht lachen. Abwechselnd von ihnen und den Krähen heißt es, sie könnten Spazierstöcke von Gewehren unterscheiden. Manchmal lachen sie auch nicht. Manchmal tauchen sie neben einem auf allen vieren durchs Gestrüpp kriechenden Jäger auf und blasen ihm ihren heißen Atem ins Gesicht, während sie ihn auf den Rücken werfen. Dann muss eine dieser todesmutigen Bracken eingreifen. Manche Jäger verdanken jagdlich geführten Hunden ihre körperliche Unversehrtheit. Das Internet lässt zitternde Spaziergänger berichten, sie seien zu Tode erschrocken, als sie auf Muttertiere gestoßen seien, und hätten um Leib und Leben fürchten müssen.
Heute ein quantitatives Problem
Eine antike griechische Darstellung zeigt den hybriden Helden Herakles, auf seinen Schultern den gefesselten, gigantischen, erymanthischen Eber. Das Mann-Tier-Duo steht, einer Chimäre ähnelnd, einer großen Bodenvase gegenüber. Aus ihrer Öffnung ragt der Kopf des nicht im geringsten heldenhaften, aber sehr befehlsintensiven Eurystheus heraus: Panik im Blick, angesichts einer weiteren, unerwartet erfolgreich abgeschlossenen Mission seines Rivalen um den Thron von Mykene. Und hier werden die Nachteile des Internets gegenüber der antiken Vase anschaulich. Um sich vor einem Wildschwein in Sicherheit zu bringen, nützt es nichts, ins Internet zu flüchten. Sauen, oder Schwarzkittel, wie die Jägersprache Wildschweine auch nennt, verhalten sich allerdings selten wie Prädatoren. Zwar reicht der Anteil tierischer Nahrung bei ihnen nur von winters 2 Prozent bis sommers 30 Prozent, darunter sind aber jede Menge wirbellose Tiere, also Würmer, Insekten und Engerlinge. Im ganz unwahrscheinlichen Fall eines Angriffs muss man sich groß machen, Stöcke schwenken und laut sein.