
Tanzskandal : Russland twerkt
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Im Gegensatz zu Russland scheint man in Florida das umstürzlerische Potential von Twerking zu verkennen. Bild: Reuters
Wer Tanzen bislang für ein harmloses Vergnügen oder wahlweise hohe Kunst gehalten hat, der irrt. In Russland kann man sogar eingesperrt werden, wenn man sich für den falschen Rhythmus entscheidet.
Der Twerk, ein aus der amerikanischen Hiphop-Szene stammender Tanzstil, bei dem man in hockender Haltung das Hinterteil lasziv zucken und kreisen lässt, ist in Russland zum Symbol für politische Unzuverlässigkeit geworden – wodurch seine Popularität nur weiter ansteigt.
Im vergangenen Monat wurde im südrussischen Orenburg die Tanzschule „Credo“ geschlossen, weil eine Abschlussklasse aus sechzehn bis achtzehn Jahre alten Schülerinnen eine Twerk-Choreographie namens „Winnie Pu und die Bienen“ aufgeführt hatte, bei der die Mädchen, in schwarz-orange gestreifte Trikots gehüllt, bald breitbeinig, bald auf allen Vieren, bald in Liegestützstellung, höchst virtuose temporeiche Beckenbewegungen vollführten.
Dieser Kollektivtwerk, den eine Figur im Bärenkostüm bewunderte, war offensichtlich vom Bienentanz inspiriert, bei dem Unterleibszucken über nektarhaltige Blüten in der Nähe informiert. Doch ein ohne Wissen der Schule ins Netz gestelltes Video, das sofort zum Internethit wurde, alarmierte die regionalen Kultur- und Verwaltungsbeamten, die den Tanzlehrern nahelegten, lieber traditionelle Volkstänze einzustudieren als den, wie sie fanden, schamlosen Twerk. Und obwohl die Eltern der Twerkerinnen mit dem Tanzgeschmack ihrer Töchter keine Probleme haben, wurden die erst kürzlich versuchsweise eingeführten Twerkkurse wieder eingestellt. Doch sogleich erschien ein neues Video von einem Freilicht-Twerk, den sechs junge Frauen in der Schwarzmeerhafenstadt Noworossijsk vor dem Denkmal für die dort 1943 an Land gegangenen sowjetischen Marineinfanteristen hinlegten.
Für die gymnastisch wilde Choreographie, die die zwischen fünfzehn und neunzehn Jahre jungen Tänzerinnen im städtischen „Art Dance“-Studio erlernt hatten, mussten vier von ihnen zwischen zehn und fünfzehn Tage lang in Verwaltungshaft einsitzen; zwei kamen mit einer Geldstrafe davon. Die Ordnungshüter qualifizierten ihr Tun als Kleinrowdytum. Russische Kommentatoren fühlen sich dadurch an die sechziger Jahre erinnert, als Jugendliche, die Rockmusik spielten, dafür bestraft werden konnten. „Heute tanzt er munter Jazz, morgen verrät er die Heimat zum Spaß“ lautete damals ein geflügeltes Wort, für das der Musikkritiker Alexej Maschajew nun eine aktuelle Entsprechung formuliert hat: „Heute will er twerken und morgen unsere Feinde stärken.“ Und tatsächlich: Der neueste Interneterfolg ist ein Video, auf dem Offiziersschüler der Militärakademie von Noworossijsk sich als Twerker produzieren. Die fünf Kadetten lassen höchst elektrisierend ihre Hüften kreisen, während sie, nur mit Badehose angetan, mit demonstrativ sinnlichem Vergnügen einen Panzer waschen. Das sei ihre Art des Kampfes, verraten sie einleitend, gegen die Vorurteile über den angeblich schwer erträglichen Armeedienst.