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TV-Kritik: Hart aber fair : Hasspropaganda und geistiger Müll

  • -Aktualisiert am

An dieser Erkenntnis konnten naturgemäß Junges Hinweise auf linken und islamistischen Extremismus nichts ändern. So kritisierte er etwa den „moralisierenden Totalitarismus“ unserer Debatten. Damit hatte er zwar recht, nur gehört die AfD zu deren führenden Protagonisten. Als Junge auf die fast identischen Zahlen von links- und rechtsextremistischer Gewalt im jüngsten Verfassungsschutzbericht hinwies, machte der Moderator den Unterschied deutlich: Der Mord als Mittel der Politik ist in erster Linie bei Rechtsextremisten zu finden. Dort finden sich übrigens auch Parallelen zum Dschihadismus.

Wandel im Rechtsextremismus

So diskutierte man fast nur über die AfD als rechte Sammlungsbewegung mit ihren ungeklärten Grenzen zum Rechtsradikalismus. Dabei blieb die Gefahr des rechtsextremistischen Terrors fast schon auf der Strecke. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) wies auf die neue Qualität hin, die dieser Mord an einen Repräsentanten des Staates bedeutet. Er machte außerdem den fundamentalen Wandel im Rechtsextremismus der vergangenen Jahre deutlich. Er organisiere sich nicht mehr in seinen klassischen Organisationsstrukturen, sondern deren potentielle Täter vermieden die Öffentlichkeit. Sie seien damit schwerer zu kontrollieren.

Dazu kommt die unverkennbare Anfälligkeit von Teilen des Sicherheitsapparates für rechtsextremistisches Gedankengut, worauf Frau Mihalic und Daimagüler hinwiesen. Das waren wichtige Aspekte in dieser Sendung, die aber leider zu kurz kamen. Denn Terrorismus jeglicher Couleur zielt immer auf die Zuspitzung gesellschaftlicher Polarisierung. Er will jedermann in feindliche politische Lager zwingen, um so als Brandbeschleuniger für das erhoffte Bürgerkriegsszenario zu wirken. Am Ende hält jeder alles für „geistigen Müll“, was nicht der eigenen Borniertheit entspricht.

Insofern hatte sich die Redaktion von „Hart aber fair“ den tagelangen Shitstorm in den Selbstbezichtigungsforen wie Twitter redlich verdient. Dort bestimmen längst die professionellen Zuspitzer die Debatte. Plasbergs Mitarbeiterin für Zuschauerredaktionen, Brigitte Büscher, brachte die damit verbundene Frustration gut zum Ausdruck. Es sei „ganz schön schwierig, Menschen zu finden, die mit uns offen diskutieren wollen.“ Die wollen aber nicht diskutieren, sondern ihre Feindbilder kultivieren.

So erlebten die Zuschauer gestern Abend den bemerkenswerte Versuch, dem übermächtigen Sog zur Desintegration etwas Substantielles entgegenzusetzen. Deshalb war auch keineswegs der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz namens Uwe Junge der Sieger, sondern die Demokratie als der Ort, wo wir alle Dissens ertragen müssen. Was den Kritikern dieser Ausgabe wohl nicht mehr auffallen wird, ist die tiefe Ironie, die darin steckt. Talkshows funktionieren eigentlich nur mit polarisierenden Debatten. Sie sind immer noch politische Unterhaltungsformate. Wenn sie allerdings zum Forum für zivilisierte Umgangsformen werden müssen, hat dieses Land ein Problem.

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