
Türkische Verfassung : Hakkari
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Nur wer türkisch und muslimisch ist, gehört laut türkischer Verfassung zum Volk. Das sollte anders werden, doch nach dem verheerenden Angriff der PKK ist eine Verfassungsänderung wieder ungewiss.
Die türkische Gesellschaft steht unter Schock. Sie trauert um 24 Soldaten, die bei Gefechten mit der kurdischen Terrororganisation PKK getötet worden sind - ausgerechnet in der Woche, in der die parteiübergreifende Kommission zur Erarbeitung einer neuen Verfassung ihre Arbeit aufgenommen hat. Der Vorfall ereignete sich im südosttürkischen Hakkari, einer jener Provinzen, in der die Regierung besonders viele Berghänge mit Leitsprüchen Atatürks verziert hat: Aus weiß angemalten Steinen werden riesige Schriftzüge gelegt, die auf den kahlen Hängen noch aus mehreren Kilometer Entfernung lesbar sind. „Ne mutlu Türküm Diyene„ - „Wie glücklich ist der, der sich Türke nennt“ lautet einer.
Doch genau darin liegt nicht nur in Hakkari das Problem, wo Dörfer mit ausschließlich türkischen Bewohnern Enklaven bilden. Die Mehrheitsbevölkerung ist kurdisch, auch Jeziden und Assyrer zählt die Provinz. Denkt man wie ein türkischer Nationalist oder Staatsrechtler, dann gehören diese Menschen nicht zum türkischen Volk - laut der Militärverfassung von 1982 haben Türken ausschließlich muslimisch und türkisch zu sein: Die Präambel stellt die türkische Nation und den Staat in den Vordergrund, nicht die Rechte des Individuums, unabhängig von Religion und ethnischer Zugehörigkeit. Akzeptiert man dies als Angehöriger einer Minderheit, dann kann man „glücklich sein“. Andernfalls bedeutet es Diskriminierung, aus der letztendlich der seit Jahrzehnten andauernde Kurdenkonflikt auch resultiert.
Auf eine in der Verfassung verankerte Gleichberechtigung hatten deshalb nicht nur die Kurden, sondern zuletzt auch weite Teile der türkischen Bevölkerung gepocht. Man möchte endlich Frieden im Land. In der Präambel der neuen Verfassung, so die Forderung, solle deshalb der Begriff „türkische Nation“ durch die neutrale Wendung „Bürger der türkischen Republik“ ersetzt werden - das Türkentum wäre damit nicht länger die einzige gewünschte oder erzwungene Identität, die in der Türkei glücklich macht. Schon vor dem Angriff der PKK hat die AKP von Ministerpräsident Erdogan Widerstand signalisiert.
Ankara präsentiert die Türkei im Ausland zwar gerne als buntes, multiethnisches Mosaik, scheut aber die tatsächliche Gleichberechtigung. Nun bleibt abzuwarten, ob sich auch die bisherigen Befürworter von dem Vorschlag distanzieren. Dass der PKK-Angriff just erfolgte, als die Verfassungsänderungen erstmals verhandelt werden sollten, ist kein Zufall. Die Terrororganisation kämpft für einen ethnisch reinen Nationalstaat. Und begeht damit denselben Fehler wie einst die junge Türkei.
