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Berkeleys Name gelöscht : Was ich nicht fühle, macht mich nicht heiß

In Berkeley wird erst einmal nichts umbenannt: Blick auf Bücher der George and Mary Forster Anthropology Library der dortigen Universität Bild: Laif

George Berkeley ist mittlerweile als Sklavenhalter verschrien. Das Trinity College hat seinen Namen gerade aus der nach ihm benannten Bibliothek gestrichen.

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          Ohne George Berkeley kein Idealismus! Der irische Theologe des achtzehnten Jahrhunderts, in die Philo­so­phie­ge­schichte eingegangen als Bischof Berkeley, weil er dieses Amt für die letzten achtzehn Jahre seines Lebens bekleidete (im irischen ­Cloyne), wurde geistesgeschichtlich be­rühmt durch seine Formel „Esse est percipi“ – es gibt nur das, was wahrgenommen wird. In Berkeleys radikaler Auslegung: Was ich nicht sehe (höre, fühle, rieche, schmecke), existiert auch nicht.

          Ein Vierteljahrhundert lang war seine eigene Rolle ein wunderbarer Beleg für diese Theorie, denn vor Antritt seines Bischofspostens verbrachte Berkeley einige Zeit in Amerika, wo er in der britischen Kolonie Rhode Island ein Gut betrieb, auf dem Sklaven für ihn arbeiten mussten. Aber das interessierte damals und danach erst einmal niemanden, also galt Berkeley als Held in seiner irischen Heimat, nach dem deren berühmteste Universität, das Trinity College in Dublin, sogar ihre Bibliothek benannte. Doch damit ist es nun vorbei, weil im Zuge der Kolonialismusdebatte selbstverständlich ruchbar wurde, was der spätere Bischof seinen früheren Schäfchen angetan hat.

          Jüngst wurde sein Name aus der Bibliothek gestrichen, Berkeleys Philosophie, der Idealismus, so betont es das Trinity College, bleibe aber Teil des Lehrplans. Ihr entsprechend, ist das Vorgehen durchaus konsequent: Denn wenn man Berkeleys Name nicht mehr am Eingang eines Studienortes lesen kann, ist er ja weg aus der Wirklichkeit.

          Nur was wird nun die kalifornische Stadt Berkeley machen, in der sich ebenfalls eine weltberühmte Universität befindet, die sich dort 1868 ansiedelte, als die Ortschaft am Golden Gate zur Bay von San Francisco noch gar keinen Namen hatte? Ihr Name (und damit auch der der Hochschule) geht der Überlieferung nach auf Studenten zurück, die sich beim Anblick ausfahrender Schiffe an Berkeleys Version des „Manifest Destiny“ erinnert fühlten: „Westwärts nimmt der Gang des Imperiums seinen Lauf.“ Esse est percipi – folglich wurde der Ort nach Berkeley benannt.

          Ein alter Westmann, nun als Sklavenhalter sogar in seiner irischen Heimat verfemt? Wie lange wird das auf seine rebellische akademische Tradition so stolze Berkeley an diesem Namen wohl festhalten können? Und muss nicht auch das 1949 künstlich erzeugte chemische Element Berkelium, das von seinen Entdeckern nach ihrer Alma Mater (und damit auch nach dem Bischof) benannt wurde, eine neue Bezeichnung bekommen? Denn wer „Berkeley“ hört, ruft ihn damit ins Dasein, und das ist nicht im Sinne postkolonialer Damnatio memoriae.

          Andreas Platthaus
          Verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben.

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