Traumjob Totengräber : „Man muss fröhlich sein“
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Kein Platz für Bagger: Achtzig bis neunzig Prozent der Gräber werden auf dem Wiener Zentralfriedhof mit der Schaufel ausgehoben. Noch anstrengender ist das Zuschütten. Bild: INTERFOTO
Christian Schertler ist Totengräber am Wiener Zentralfriedhof. Im Interview spricht er über die richtige Schaufeltechnik, XXL-Särge und sein Lieblingsgrab.
Herr Schertler, Sie sind seit 25 Jahren Totengräber auf dem Wiener Zentralfriedhof. Eine lange Zeit.
Es ist ein sicherer Job mit Beamtenstatus.
Ich dachte, Sie mögen die Friedhofsatmosphäre, die Nähe zu den Toten.
Vergessen Sie das! Für mich ist eine Leiche dasselbe wie für Sie Ihr Kugelschreiber.
Eine Leiche war mal ein Mensch.
Manchmal graben wir Leichen aus, da ist noch der ganze Körper dran. Trotzdem sehe ich in diesen Körpern keine Menschen, nicht einmal ein kleines Stückchen Mensch. Ich schaue immer, dass ich über die Verstorbenen nichts weiß. Nichts, was sie in meiner Phantasie zu Menschen machen könnte.
Was ist denn für Sie eine Leiche?
Ein Körper. Fleisch, das verwest. Ich löse die Leiche zuerst mit der Schaufel aus der Erde, dann ziehe ich meine Gummihandschuhe an und so weiter. Ich erzähle Ihnen gern davon, aber bitte stellen Sie die Fragen so, als hätte ich einen ganz normalen Beruf. Sonst wird das zu abgehoben.
Okay. Was muss man als Totengräber können?
Das Wichtigste ist die richtige Schaufeltechnik. Du musst allein ein 2,70 Meter tiefes Grab ausheben, das ist unheimlich anstrengend. Wegen der XXL-Särge, die immer häufiger werden, müssen wir oft sogar noch tiefer gehen. Du schmeißt die Erde rauf, aber sie kommt sofort wieder runter. Ich bin in den ersten Wochen mit einem alten Mann mitgegangen, der hat lange mit mir geübt.
Arbeiten Sie nicht mit Baggern?
Selten, Bagger sind zu groß für die engen Durchgänge zwischen den Gräbern. Achtzig bis neunzig Prozent graben wir noch von Hand. Jetzt im Winter ist das ein richtiger Kampf, der Boden ist gefroren und will nicht nachgeben. Da müssen wir manchmal mit dem Kompressor drüberfahren, um die Erde zu lockern. Kompressoren sind kleiner als Bagger, zum Glück, die passen fast überall hindurch.
Wenn man so lange dabei ist wie Sie – gibt es da Aufstiegsmöglichkeiten?
Ich bin inzwischen Aufseher, das ist das Höchste. Ich muss keine Schaufel mehr in die Hand nehmen. Das Tiefste ist der Helfer. Der muss öffnen und schließen. Danach kommt der Gehilfe. Der muss nicht mehr schließen. Und er darf den Trauerzug begleiten, er fährt mit dem Fahrrad voraus und weist den Weg zum Grab.
Was ist so schlimm am Schließen?
Zuschütten sieht einfacher aus als graben. Aber es ist eine schlechte Bewegung, geht unheimlich in den Rücken.
In jeder Branche gibt es Traum-Arbeitgeber, wo jeder hinwill.
Der Zentralfriedhof ist schon sehr begehrt bei den Totengräbern. Hier klappt die Verwesung recht gut, weil wir relativ trockenen Boden haben. Es gibt Friedhöfe, da ist das Material luftdicht, also feuchter Boden. Da hast du viel öfter mit ganzen Körpern zu tun. Der Geruch ist einfach schlimm.
Ich hatte noch nie einen Interviewpartner, der so viel lacht wie Sie.
Ich bin ein fröhlicher Mensch. Alle im Team sind so. Ich glaube, um diese Arbeit zu machen, muss man noch ein bisschen fröhlicher sein als normal fröhliche Menschen.
Auf dem Weg zu Ihnen bin ich an prunkvollen Gräbern vorbeigekommen …
Haben Sie das Bergwerk gesehen? Das ist mein Lieblingsgrab. Ich finde es so witzig und skurril. Es sieht aus wie ein riesiger Felsstein. Oben in der Mitte gibt es ein Tor, das verschlossen ist und von zwei Zwergen bewacht wird. Ich stelle mir immer vor, dass hinter diesem Tor ein Bergwerk ist.
Das habe ich nicht gesehen. Aber ich habe mich gefragt, warum die Wiener so ein Brimborium um das Sterben und die Toten machen.
Das ist vorbei! Der Stellenwert einer Grabstelle ist nicht mehr so hoch wie früher, deshalb investiert man auch nicht mehr so viel. Selbst die ganz schlichten, normalen Gräber nehmen ab. Man lässt nur noch einen Hügel mit ein paar Blumen drauf. Jeder spart. Als ich anfing, gab es noch Kutschen und Trauerpersonal in Uniform. An der Grabstätte traten Sänger und Trompetenspieler auf. Aber …
Aber was?
Manchmal stand ich da und fragte mich: Ist das im Sinne des Verstorbenen? Diesen Pomp veranstaltet man doch nur für die Hinterbliebenen. Damit die Nachbarn „boah“ denken.
Ihr Lachen ist weg.
Mein Sohn – er ist dieses Jahr gestorben. Wir haben ihm zur Bestattung eine Schachtel Würfelzucker und Popcorn mitgebracht. Er war ein Schleckmaul.