Philosophie der Tierrechte : Wer kennt ein Schwein, das gut behandelt wird?
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Ein Schwein im Mastbetrieb, Kirchlinteln, Niedersachsen Bild: dpa
Ein Regenwurm mag uns nicht ähneln. Daraus folgt aber nicht, dass es erlaubt wäre, sein Leben zu zerstören: Die Philosophin Martha Nussbaum fordert „Gerechtigkeit für Tiere“ – mit sehr guten Gründen.
Das größte Vergnügen bei der Arbeit an ihrem Buch „Gerechtigkeit für Tiere“ habe ihr das intensive Studium der Forschungsarbeiten zu allen Bereichen der Tierwelt bereitet, schreibt die Philosophin und Rechtstheoretikerin Martha Nussbaum im Vorwort. Man merkt es dem Buch von der ersten bis zur letzten Zeile an. Die Entdeckungen der Wissenschaft zu den Fähigkeiten der Tiere, die in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen haben, bilden den Hintergrund von Nussbaums Denken, das sich an der düsteren Gegenwart entzündet. Dass niemand mehr sagen könne, wie alt Schweine werden würden, ließe man sie je ein Leben nach ihren Wünschen führen, ist ein Beleg für diese düstere Situation; vom Artensterben gar nicht zu reden.
Da sie kein Schwein kenne, das gut behandelt werde, habe sie sich für eine vom Leben inspirierte Fiktion entschieden, sagt Nussbaum bei der Vorstellung eines ihrer Beispieltiere. Diese Fiktion ist eine prächtige schwarze Berkshire-Sau und führt als Kaiserin von Blandlings das Leben eines glücklichen Schweines auf Blandlings Castle. Sie entstammt einem Roman von P. G. Wodehouse, der ein großer Freund der Tiere war. In Nussbaums Version nimmt das Leben der Sau jedoch eine schreckliche Wendung, als sie in eine jener Gebärboxen gestellt wird, die in der industriellen Schweinezucht üblich sind.
Die Kaiserin ist eines von fünf Beispielen neben der Elefantenkuh Virginia, dem Buckelwal Hal, dem trillernden Finken Jean-Pierre und der Hündin Lupa, an denen Nussbaum zeigt, wie das Verhaltensrepertoire der Tiere an der Wirklichkeit zerschellt. Die Elefantin wird von Elfenbeinjägern getötet, der Buckelwal verendet an einem dicken Plastikblock in seinem Magen. Nur die Hündin Lupa trifft es besser: Sie wird als Straßenköter von freundlichen Menschen adoptiert.
Die Konfrontation der Fähigkeiten der jeweiligen Tiere mit der Gewalt, die sie direkt oder indirekt durch menschliches Handeln erleiden, ist deshalb so plastisch, weil sie der Wirklichkeit entnommen ist. Nussbaum greift mit ihren Fähigkeitskatalogen von Tieren die Ergebnisse der neueren Forschung auf. Aus den nicht nur durch Beobachtung, sondern auch durch immer sorgfältiger entwickelte Experimente gewonnenen Erkenntnissen wissen wir zum Beispiel, dass alle Wirbeltiere und viele wirbellose Tiere subjektiv Schmerz empfinden, dass sie auch, ganz allgemein, über eine eigene Weltsicht verfügen.
Nussbaums Beispieltiere haben Namen
Es gibt bei Tieren eine bestimmte Art, auf die sich ihnen die Welt darstellt. Sie haben Emotionen, und zumindest einige, wie Krähen, Elefanten oder verschiedene Affen, können auch Mitgefühl und Trauer äußern (beides setzt das komplexe Erfassen einer Situation voraus). Auch deshalb treten bei Nussbaum die Beispieltiere als Individuen auf und haben Namen.
Aus den Experimenten mit so unterschiedlichen Tieren wie Krähen und Delphinen ist zudem bekannt, dass sie zur Lösung komplizierter Probleme fähig sind und die Herstellung wie Benutzung von Werkzeuge lernen können. Aus der Art und Weise, in der solches Wissen in den jeweiligen Populationen weitergegeben wird, lässt sich auch schließen, dass die sozialen Verbände dieser Tiere nicht ein Kontext sind, in dem ein mechanisch vererbtes Repertoire ausagiert wird, sondern Räume komplizierten sozialen Lernens, in denen Jungtieren ein großer Teil ihrer Fähigkeiten erst vermittelt wird.