
Adorno und der Mietendeckel : Wohnen? Kritisch!
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Adorno wohnt hier nicht mehr. Sein Schreibtisch unter Glas bildet jedoch das Adorno-Denkmal an der Frankfurter Universität. Bild: Picture-Alliance
Weil es kein richtiges Wohnen im falschen Haus geben kann: Eine kleine Kritik der Immobilienverhältnisse mit Theodor W. Adorno.
Es war schon überraschend, wie treffend Theodor W. Adornos Analyse einiger „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ war, als im August zum 50. Todestag sein Vortrag aus dem Jahr 1967 erschien. Die Überraschung bestand auch darin, dass der Meisterkryptiker Adorno so konkret über soziale Phänomene geschrieben hatte, über Fake News etwa oder soziale Abstiegsangst. Dabei hat Adorno viele seiner Gedanken in der Auseinandersetzung mit lebenspraktischen Fragen entwickelt, vor allem in der „Minima Moralia“. Auch sein wohl berühmtester Satz, der einzige, der all die Jahre der allgemeinen Adornovergessenheit hindurch sehr lebendig geblieben war, war zunächst einmal nur die Antwort auf eine sehr gegenwärtige Frage: Wie soll man, kann man heute wohnen?
Wenn also in diesen Tagen dem ein oder anderen Wohnungseigentümer der Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ im Kopf herumschwirrt, weil im Kapitalismus im Allgemeinen kein Eigentum eben auch keine Lösung ist und weil man deshalb in Berlin im Besonderen angesichts des Mietendeckels an der Frage nicht vorbeikommt, ob man gegen hemmungslose Immobilienspekulation sein kann und trotzdem noch mal schnell die Miete erhöhen darf – dann hilft es, den ganzen Eintrag zu lesen. Vor allem bei der Wahl der richtigen Wohnung nämlich kann man alles nur falsch machen: Die „traditionellen Wohnungen“ sind für Adorno unerträglich, weil „jede Spur der Geborgenheit mit der muffigen Interessengemeinschaft der Familie bezahlt“ ist, die „neusachlichen“ aber „ohne alle Beziehung zum Bewohner“. Kurz: „Die Möglichkeit des Wohnens wird vernichtet von der sozialistischen Gesellschaft, die, als versäumte, der bürgerlichen zum schleichenden Unheil gerät. Kein Einzelner vermag etwas dagegen.“
So richtig falsch wird es aber, wenn man sich mit der Moral der Besitzverhältnisse beschäftigt: Mit Nietzsches „Glücke, kein Hausbesitzer zu sein“, kommt man in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung nämlich auch nicht weiter. Eigentum ist nach Adorno einerseits höchst problematisch, weil „die Fülle der Konsumgüter potentiell so groß geworden ist, daß kein Individuum mehr das Recht hat, an das Prinzip ihrer Beschränkung sich zu klammern“; andererseits ist es eben so, „daß man aber dennoch Eigentum haben muß, wenn man nicht in jene Abhängigkeit und Not geraten will, die dem blinden Fortbestand des Besitzverhältnisses zugute kommt“. Vielleicht wäre es an der Zeit, sich nicht nur den berühmten letzten Satz des Textes zu merken, sondern auch den ersten: „Eigentlich kann man überhaupt nicht mehr wohnen.“