Gespräch mit dem Germanisten Alan Keele : Walter Kempowski war doch ein Spion
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Walter Kempowski im April 1989 Bild: dpa
Die Achse, um die sich alles dreht: Der in Utah lehrende Germanist Alan Keele hat die Akten des amerikanischen Geheimdienstes studiert. Seine Forschungen werfen neues Licht auf die Nachkriegsjahre des Schriftstellers Walter Kempowski.
Der in Utah lehrende Germanist Alan Keele hat die Akten des amerikanischen Geheimdienstes studiert. Seine Forschungen werfen neues Licht auf die Nachkriegsjahre des Schriftstellers.
Herr Professor Keele, Sie kannten Walter Kempowski viele Jahre lang. Sie haben seinen Roman „Hundstage“ übersetzt, und Ihnen widmete Kempowski auch den ersten Teil des „Echolots“. Nun haben Sie die Akten studiert, die das amerikanische CIC, die Vorgängerorganisation des CIA, über Kempowskis politische Tätigkeit von 1947 bis 1948 angelegt hat. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Es gibt Unterschiede zwischen den Akten, die ich mir aus dem amerikanischen Geheimdienstarchiv in Maryland hatte zuschicken lassen, und dem, was Kempowski selbst in seiner „Deutschen Chronik“, insbesondere in den Romanen „Uns geht's ja noch gold“ und „Ein Kapitel für sich“, geschrieben hat.
Inwiefern?
In den Romanen ist von Frachtbriefen die Rede, die Walter Kempowski dem CIC übergeben hat und die er von seinem Bruder Robert erhalten hatte. In diesen Briefen standen Einzelheiten der sowjetischen Pläne in Rostock und anderswo, an denen die Amerikaner natürlich dringend interessiert waren. Aus den CIC-Akten geht hervor, dass der wirkliche Walter Kempowski über diese Briefe nie verfügt hat.
Das würde bedeuten, dass es die Spionagetätigkeit, derentwegen die Romanfigur und der wirkliche Kempowski im März 1948 von den Russen verhaftet wurde und dann acht Jahre in Bautzen einsaß, gar nicht gab.
Einerseits. Andererseits geht aus den Akten hervor, dass Kempowski sich damals viel öfter mit CIC-Leuten getroffen hat, als er in den Romanen behauptet. Dort ist nur von einem Treffen die Rede.
Erfüllt das den Tatbestand der Spionage?
Ich würde sagen: ja. Kempowski hat den CIC damals in Wiesbaden von sich aus öfters aufgesucht und seine Dienste angeboten.
In den Romanen ist ja auch davon die Rede, Walter, der nach seiner Entlassung aus Bautzen 1956 in den Westen ging, sei an seiner Verhaftung und Haft „irgendwie auch selber schuld gewesen“. In diesem Zusammenhang spielt ein gewisser Fritz Lejeune eine wichtige Rolle - dahinter steckt Kempowskis damaliger Freund Hans Siegfried.
Laut Akten war es Hans Siegfried, der im Besitz von zweiundneunzig Frachtbriefen mit sowjetischen Geheimnissen war, die er dann an das CIC übergeben hat - übrigens nachdem Kempowski schon verhaftet war. In den Romanen heißt es dagegen, dass Walter Kempowski diese Frachtbriefe von seinem Bruder Robert bekommen hat.
Hat Robert denn spioniert?
Das geht aus den CIC-Akten nicht hervor.
Warum hat Walter Kempowski, der so detailversessen war, denn eine andere, romanhafte Version der Ereignisse geliefert?
Aus Rücksicht auf seine Familie, vor allem auf Robert.
Welche Rücksichten gab es da zu nehmen?
Robert hat nach seiner Entlassung 1956 von der Bundesrepublik eine Entschädigung bekommen, und Walter hatte Angst, dass Robert nachträglich Ärger bekommen würde, wenn sich herausstellte, dass Roberts Rolle doch etwas anders und er im Grunde gar kein politischer Gefangener war. Aber diese Dinge sind wohl sowieso schon längst verjährt.
Aber für eine Spionagetätigkeit von Robert gibt es doch auch keine Beweise.
Walter war da meiner Ansicht nach übervorsichtig, er war ja schon traumatisiert, auch von seiner eigenen Verhaftung.
Wieso wurde er überhaupt vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet, wenn er gar keine Frachtbriefe bei sich hatte - wurde er verraten, vielleicht von Hans Siegfried, von dem das CIC vermutete, er sei ein Doppelagent gewesen?