Alice Schwarzers Islamkritik : Dem siegreichen Feminismus ist die Minderheit egal
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Symbol der Parallelgesellschaft: Schwarzer sieht die Verschleierung als Akt der Unterwerfung Bild: AFP
Wie sähe die zur Islamkritik bekehrte Gesellschaft aus? Das neue Buch von Alice Schwarzer ist ein jakobinischer Kreuzzug, der über den Geist des liberalen Rechtsstaats hinweggeht. Ein bemerkenswertes Datum in der Geschichte des Feminismus.
Alice Schwarzer hat auch männliche Helden. Guido Westerwelle zum Beispiel und Nicolas Sarkozy. Jetzt erscheint das neue Buch der „Emma“-Gründerin. Die Sammlung von Artikeln der Herausgeberin und anderer Autorinnen dokumentiert eine Kampagne, der sich „Emma“ mit beachtlicher Zähigkeit widmet. Seit Jahren warnt das feministische Zentralorgan vor einer islamischen Machtübernahme in Deutschland. Wiederholungen sind beim Wiederabdruck nicht getilgt worden. Das für richtig Erkannte kann im kämpferischen Journalismus nicht oft genug gesagt werden. So wird der französische Präsident gleich mehrfach wegen des Muts gerühmt, den er schon als Innenminister gezeigt habe.
Sarkozy habe die Jugendgewalt in den Vorstädten als kulturelles Problem erkannt und benannt - und damit die Macht der von den Revolutionsnostalgikern unter den Linksintellektuellen errichteten Tabus des Multikulturalismus gebrochen. Als Sarkozys Verdienst wird das Kopftuchverbot für Schülerinnen gefeiert. Nachdem er jetzt auch das Burkaverbot zu seiner Sache gemacht hat, das nicht auf die staatliche Sphäre der Schulen und Behörden beschränkt sein wird, kann Alice Schwarzer zufrieden Bilanz ziehen: „Präsident Sarkozy ließ sich nicht einschüchtern.“ Das vierte von fünf Kapiteln heißt „Exempel Frankreich“. Die übrigen vier behandeln die Forderungen muslimischer Verbände („Mitten in Europa“), islamische Dissidentinnen und ihre Kritiker, die besondere Gefahr, die von „KonvertitInnen“ ausgehe, sowie die Lage der Frauen in islamisch regierten Staaten.
Antireligiöser Kreuzzug
Inwiefern soll der französische Laizismus der Ära Sarkozy Deutschland ein Beispiel der Staatsklugheit geben? In Frankreich, schrieb Alice Schwarzer im April 2003, gebe es „eine Regierung, die begriffen hat, worauf es ankommt: auf die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der nicht gläubigen, nicht fundamentalistischen MuslimInnen, die selbstverständlich für eine Trennung von Staat und Kirche und gegen die Gottesstaatlerei sind“. Zuerst glaubt man an einen Druckfehler. Müsste es für die französische Regierung nicht auf die republiktreuen gläubigen Muslime ankommen, wenn sie die Fundamentalisten isolieren will? Nein: Die Gläubigen, und zwar aller Religionen, müssen sich sagen lassen, im Zweifel sei auch ohne sie und gegen sie Staat zu machen.
Es kommt nicht auf sie an: Das ist sowohl normativ gemeint als auch machtpolitisch, arithmetisch. „Nur zehn bis zwanzig Prozent der französischen Muslime sind überhaupt religiös aktiv, und nur ein geringer Teil dieser Gläubigen wiederum sind Fundamentalisten.“ Frau Schwarzer hat ein jakobinisches Demokratieverständnis: Die Mehrheitsherrschaft gebietet, dass alle Lebensordnungen im Sinne der Mehrheitsmoral umgestaltet werden.
Die Objektivität des Kopftuchs
Unter einem Artikel von Elisabeth Badinter mit dem Titel „Das Kopftuch ist ein politisches Symbol!“ steht der Hinweis „Der Text wurde erstmals 1991 in EMMA veröffentlicht“. Es handelt sich offenbar um einen Klassiker, und tatsächlich entfaltet der kurze Beitrag in unüberbietbarer Klarheit die Gründe einer Verbotspolitik, die über die Schule hinausdrängt und konsequenterweise zuletzt auch das privat getragene Kopftuch nicht mehr dulden kann. Wenn zwei Mädchen in der Pubertät dasselbe tun, ist es nicht dasselbe: „Eine zerfetzte Jeans anziehen, sich die Haare gelb oder blau färben, das sind Befreiungsakte gegen die geltenden Konventionen. Aber seine Haare unter einem Kopftuch verstecken, das ist ein Akt der Unterwerfung. Er überschattet das ganze Leben einer Frau, ihr Vater oder ihr Bruder werden ihr einen Mann aussuchen, der mehrere Frauen heiraten darf.“ Ist wirklich jedes Mädchen, das ein Kopftuch überzieht, damit zu einem Nebenfraudasein verdammt? Statistisch muss dieser Zusammenhang nicht belegt werden. Er ist das, was Alice Schwarzer die objektive Bedeutung des Kopftuchs nennt, neben der die zugestandenermaßen vielfältige subjektive Sinngebung unbeachtlich bleibt.
Elisabeth Badinter stellte 1991 fest, die muslimischen Frauen seien besser integriert als die Männer. Interessant ist die Liste der von ihr aufgezählten Vorteile: „Schule, Verhütung, Abtreibung“. Alice Schwarzer schlägt die Brücke zur anderen großen „Emma“-Kampagne, um die Kontinuität des laizistischen Kampfes zu beschwören: „So wie bei den Vertretern Jesu die Abtreibung steht bei den Vertretern Mohammeds das Kopftuch im Fokus.“ Nicht nur die frommen Christen unter den Sympathisanten der Islamkritik dürften hier ins Grübeln geraten. Der Liberalisierung des Abtreibungsrechts lag die Einsicht zugrunde, dass ein strafrechtliches Verbot die Motive der abtreibenden Frau als verwerflich abstempelt und ihr insofern im übertragenen Sinne das rechtliche Gehör verwehrt. So geht das Kopftuchverbot über die Motive der Trägerin hinweg. Auf ihr Selbstverständnis kommt es nicht an, sie wird reduziert auf das objektive Zeichen einer politischen Gefahr - und das bei einer Handlung, die nur sie selbst betrifft. Im Widerspruch zum liberalen Begriff des Rechtsstaats qualifiziert das Gesetz die Handlung als unfrei, auch wenn äußerer Zwang nicht nachzuweisen ist.
Logik der Sieger
In diesem Jahr erregte Elisabeth Badinter Aufsehen mit einem Buch, in dem sie eine neue Unfreiheit der Frau an die Wand malt, die der Kindererziehung zuliebe die Chancen der Arbeitswelt nicht nutze (Elisabeth Badinters neues Buch: Freiheit für die Rabenmütter!). Der besonders schrille Ton erklärt sich aus einer Verlegenheit der Autorin: Wen soll sie eigentlich anklagen, wenn Frauen von verbrieften Rechten und Vergünstigungen, die ihnen niemand mehr streitig macht, nicht den erwünschten Gebrauch machen? Das falsche Bewusstsein der Einzelnen oder den bösen Geist der Gesamtgesellschaft. Bei den Kopftuchmädchen sind die männlichen Einflüsterer leichter zu fassen.
Der in diesem Buch dargestellte Kreuzzug ist ein bemerkenswertes Datum in der Geschichte des Feminismus. Wie eine Religion oder eine andere soziale Bewegung zu staatlichen Kulturgesetzen steht, das variiert mit ihrer eigenen Machtposition. In der Diaspora tritt die katholische Kirche besonders eifrig für die Religionsfreiheit ein. Die Frauenbewegung sieht sich heute offenbar ein für allemal auf der Seite der Sieger: So kann Alice Schwarzer den Minderheitenschutz grundsätzlich zur Disposition stellen. Die von Sarkozy befohlene Räumung der Roma-Lager zieht die letzte Konsequenz aus Elisabeth Badinters Kritik am postmodernen Artenschutz für kulturelle Differenzen.
Als politisches Symbol soll das Kopftuch die Fahne der „Parallelgesellschaft“ sein. Dass Parallelgesellschaften vermieden werden müssen, ist ein Axiom der Integrationspolitik, das sogar schon in Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts eingegangen ist und nicht einmal dort eine Begründung nötig hat. Es versteht sich aber gar nicht von selbst, dass dem Staat eine einheitliche Gesellschaft gegenübersteht. Die Einheit des gleichen Rechts für alle lässt ein Nebeneinander vielgestaltiger sozialer Ordnungen zu und erlaubt es beispielsweise Frauen, sich zum gemeinschaftlichen Leben unter dem Gelübde der Ehelosigkeit zusammenzuschließen.
Jakobinischer Feminismus
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat im Interview mit der F.A.Z. (siehe F.A.Z.-Gespräch mit Innenminister de Maizière: „Die alten Gewissheiten kommen nicht wieder“) etwas Kluges zu den Parallelgesellschaften gesagt: Sie „entstehen eher durch bestimmte Stadtentwicklungen als durch Religion“. Bilder von Verhältnissen der Segregation erschrecken die Öffentlichkeit und fordern die Politik zum planenden Handeln auf. Aber dass die Zustände in unseren Banlieues ihren Grund in der Selbstausgrenzung von Frommen haben, die dort ihr heiliges Reich gründen, ist die wenig plausible Behauptung der Islamkritik. Der Staat der Französischen Revolution konnte Frauenklöster nicht dulden. Die Nonnen gaben ein schlechtes Beispiel der Untätigkeit und des Aberglaubens. Frankreich definiert sich als eine und unteilbare Republik. Nach der jakobinischen Auslegung dieses Prinzips soll die Gesellschaft so homogen sein wie der Staat.
Der antiliberale Geist des jakobinischen Feminismus manifestiert sich bei Alice Schwarzer auch im Stil. Ständig begegnet die islamkritische Standardwendung von der falschen oder falsch verstandenen Toleranz. Das eigene Verständnis ist natürlich das richtige. Fremd ist diesem fanatischen Rationalismus, dass zur Meinungsfreiheit das Experimentieren gehört, dass sich oft erst aus der Debatte, im Zuge von Rechtsstreitigkeiten und in der Praxis herausstellt, was eine freie Gesellschaft dulden kann und will. Wie weit ein Grundrecht reicht und wo es hinter einem anderen zurücktreten muss, das ist nach dem Bundesverfassungsgericht eine Frage der praktischen Konkordanz. Was mit dieser Formel politisch gemeint ist, das gewinnt im Kontrast zu den gesammelten Steckbriefen der GesinnungspolizistInnen von „Emma“ Evidenz. Wenn es um das Kopftuch oder den Schwimmunterricht geht, setzt Alice Schwarzer das von Musliminnen reklamierte Recht immer in Anführungszeichen. Rechte existieren aber nur dadurch, dass sie in Anspruch genommen werden. Wenn ein Gericht den Anspruch in letzter Instanz verneint, heißt das nicht, dass die Klärung überflüssig war und der rechtstreue Bürger das von vornherein hätte wissen müssen.
Es bleibt die Frage nach den Gründen des Erfolgs der unduldsamen Islamkritik bei einem bürgerlichen Publikum, das sich das eigene Elternrecht nicht nehmen lassen würde und die Gleichheit von Mann und Frau eigentlich nicht als Zwang zur Angleichung verstehen möchte. Auch hierzu findet man einen Wink bei de Maizière: Dass die formierte Gesellschaft der islamfeindlichen Utopie so wenig irritiert, hat vielleicht mit dem „alten Trugschluss des Bürgertums“ zu tun, der Sehnsucht nach einer heilen Welt ohne Kompromisse und ohne Streit.