Teurer Irrtum : Gemeinwissen gegen Geheimwissen
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Fabriken waren früher auch schmutziger: in der Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin Bild: Pierre Adenis/laif
Ohne Computernetze keine Naturwissenschaften, kein Straßenverkehr, keine Finanzbranche: eine technische Tatsache, deren soziale Seite angeblich geklärt ist. Dieser Irrtum wird teuer.
Früher war die Sache übersichtlich: Wenn man Fahrräder oder Holz verkaufen wollte, ging man auf den Markt, begab sich in den Wettbewerb und schimpfte auf den Staat, weil der den Tausch bürokratisch und steuerlich behinderte, ja in gelegentlichem sozialem imperial overreach ganze Industrien an sich riss.
Seit aber mit Information in Mengen gehandelt wird, die sich die klassischen Industriegesellschaften nicht hätten vorstellen können, geht alles durcheinander: Eben hat China angekündigt, bis 2015 die Weltführung beim E-Commerce übernehmen zu wollen, also mit alles anderen als aufs freie Spiel der Kräfte bauenden, vielmehr diktatorischen Methoden an die Spitze einer Entwicklung zu streben, die den Begriff prägen wird, den das neue Jahrtausend vom Markt noch haben kann.
Außerhalb Chinas steht es noch wirrer: Kunstschaffende polemisieren gegen staatliche Kulturförderung, Musikmenschen verbünden sich mit Konzernen, die ihnen vom Erlös ihrer Mühen bloß ein Taschengeld zahlen, weil dieses Taschengeld immer noch leichter in Miete und Nahrungsmittel einzutauschen ist als ein Click auf den „Gefällt mir“-Button, und zwei keineswegs radikale japanische Politiker, Tomoyuki Taira und Yukio Hatoyama, fordern öffentlich, die japanische Atomenergie müsse verstaatlicht werden, weil sonst das verheerende Informationsmanagement privater Eigentümer Störfälle erheblich verschärfe.
Echtes Kapital braucht den Staat
Sind Chinesen und Kunstschaffende plötzlich Neoliberale, haben die beiden Japaner noch nie von Tschernobyl gehört? Über die Atomkraftnutzung der Sowjetunion kann man vieles sagen, eines indes war sie ganz bestimmt: staatlich. Ein Vorbild für Transparenz aber wird man, was dort 1986 geschah, nicht nennen dürfen.
Dennoch liegen Taira und Hatoyama nicht einfach falsch. Das Diagramm der Protektion zwischen Ämtern und Aufsichtsräten hat der Aufklärung und Bewältigung des Fukushima-Desasters Hindernisse in den Weg gelegt, die man sich bei anders organisierten Jurisdiktionen hätte sparen können. Die Klemme derer, die so etwas künftig verhüten wollen, ist die, dass sie kein zeitgemäßes Wort haben für das, was sie sich wünschen: eine Sorte Verantwortlichkeit, die dem erreichten technischen Stand entspricht. Dessen Hauptkennzeichen ist: Nicht nur das, was uns in Gang hält (Energie), sondern auch das, was uns steuert (Information), ist in Apparate gerutscht, deren Funktionsweise quer steht zu alten Frontverläufen zwischen öffentlich und privat.
Markt und Staat spielen, seit das so ist, miteinander beschleunigt „Fang den Hut!“ Staaten sollen dabei das Funktionieren von Märkten beschützen und durchsetzen, die zunehmend den Menschen gesamtgesellschaftlich benötigte Ressourcen zuteilen - Energie, Bildung, Verkehrswesen, Gesundheitsversorgung. Beim Sicherstellen solcher Versorgung sind diese Märkte dann jeweils so blind oder hellsichtig, wie die Informationsumschlagsrate sie sein lässt; kein trader ist lange schlauer als sein Smartphone. „Gemeinwirtschaftlich“ können diese Smartphone-Anhängsel dabei durchaus denken; das konnten Händler und Besitzende schon immer - zum Beispiel, wenn sie fordern, dass vor dem Bankrott stehende Schwerindustriezweige (früher) oder Finanzinstitute (heute) mit öffentlichen Mitteln davor zu bewahren seien, von ihrem eigenen Gewicht erschlagen zu werden. Oder wenn etwas von militärischer und ziviler Großforschung geboren und gepäppelt wird (etwa das World Wide Web), das, sobald es profitabel scheint, in parzellierter Form an die Googles, Facebooks, Apples, Microsofts und Amazons abgetreten wird. Echtes Kapital braucht just den Staat, den naive Sozialdemokratie ihm immer als Gegner mit dem starken Arm und dem guten Herzen für die Schwachen entgegenstellen will.