Situation taubblinder Menschen : Raus aus der Isolation
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Demonstration vor dem Berliner Reichstag unter dem Motto „Taubblinde in Isolationshaft“ Bild: Picture-Alliance
Irmgard Reichstein ist Vorsitzende der Stiftung „taubblind leben“. Im Interview spricht sie über die Situation Taubblinder in Deutschland und erklärt, warum das längst versprochene eigene Merkzeichen für die Betroffenen so wichtig wäre.
Frau Reichstein, im Januar 2016 sollen taubblinde Menschen ein eigenes Merkzeichen erhalten, das die besonderen Bedürfnisse ihrer Behinderung im Ausweis klarmacht. Wird es endlich kommen?
Leider deutet einiges auf weitere Verzögerungen hin. Trotz des einstimmigen Beschlusses für ein Merkzeichen auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November 2012, großer Zustimmung von allen Fraktionen und der bekannten Fakten zur verletzlichen Lebenslage taubblinder Menschen geht es nicht voran.
Weshalb nicht?
Wir können nur spekulieren. 2014 wurde der Medizinische Rat vom Ministerium beauftragt, Taubblindheit zu definieren, obwohl eine praktikable Definition bereits vorliegt. Er hat erst ein einziges Mal getagt. Wir brauchen das Merkzeichen dringend, um die Menschen überhaupt ausfindig machen zu können. Ein taubblinder Mensch benötigt bereits Assistenz, um Assistenz zu beantragen. Aktive Unterstützung ist notwendig. Ohne Merkzeichen geht es nicht, so wie ohne qualifizierte Assistenz für Taubblinde keine Teilhabe möglich ist. Es hat wohl selten so viel Einigkeit über die Notwendigkeit einer Maßnahme gegeben wie in diesem Fall.
Wie schätzen Sie die Lage der Betroffenen derzeit ein?
Viele hoffen noch auf ein Merkzeichen im Januar. Die Menschen verstehen nicht, warum eine für sie so wichtige Verordnung Jahre nach einem einstimmigen Beschluss von Bund und Ländern immer noch nicht steht und sich weiter verzögert.
Wie schwer machen es aktuelle Probleme wie die Flüchtlingskrise, Aufmerksamkeit für Taubblinde zu generieren?
Für die Politik gibt es seit vielen Jahren stets vordringlichere Themen. Schon 2004 hat das Europäische Parlament alle Mitgliedstaaten aufgefordert, die Rechte Taubblinder anzuerkennen und ihnen Geltung zu verschaffen. Wir appellieren, den Aufbau wirksamer Unterstützungsstrukturen mit großer Entschlossenheit anzugehen. Das Merkzeichen ist ein erster und sehr wichtiger Schritt. Wir brauchen flächendeckende Beratung, Rehabilitation und qualifizierte Assistenz für taubblinde Menschen. Andernfalls verantworten wir Isolation und Abhängigkeit mit allen Folgen.